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Foni Le Brun-Ricalens, Leonardo López Luján, Claude Wey

Alexander von Humboldts „Aztekische Priesterin“ alias die Chalchiuhtlicue aus der Sammlung Guillermo Dupaix
Historiografischer Essay einer Translokation von Mexico-Stadt nach London

Zusammenfassung

Während seines Aufenthalts 1803 in Mexiko machte von Humboldt die Bekanntschaft von Dupaix, einem spanischen Soldaten luxemburgischer Herkunft und Liebhaber präkolumbischer Altertümer. Die Entdeckung verschiedener Manuskripte Dupaix’ sowie die Untersuchung diverser Archive und persönlicher Aufzeichnungen des Freiherrn und von Dokumenten unterschiedlicher Institutionen beiderseits des Atlantiks erlauben es, den außergewöhnlichen Weg eines berühmten mexikanischen Objekts, der Chalchiuhtlicue, nachzuvollziehen, die der preußische Forschungsreisende 1810 als „aztekische Priesterin“ in seinem Buch Vues des cordillères … beschrieben hatte. Der vorliegende Beitrag versucht, die verschiedenen Besitzer und die Umstände nachzuzeichnen, welche die Wanderung dieser emblematischen prähispanischen Statuette von Mexiko-Stadt nach London fast ein halbes Jahrhundert lang begleitet haben.

Abstract

In 1803, during his sojourn in Mexico, von Humboldt made the acquaintance of Dupaix, a Spanish soldier of Luxemburgish origin with a keen interest in pre-Columbian art. The discovery of several manuscripts belonging to Dupaix, together with a study of various archives and personal notes left by Humboldt, not to mention the documents held in different institutions on both sides of the Atlantic, have made it possible to recreate the remarkable itinerary of a famous Mexica work of art, that of Chalchiuhtlicue. In his ground-breaking work Vues des cordillères … published in 1810, the Prussian explorer had referred to her as an “Aztec Priestess”. In this article we attempt to trace the various successive owners of this emblematic pre-Hispanic statuette and the circumstances surrounding the period of almost 50 years it spent wandering between Mexico and London.

Resumen

El descubrimiento de diferentes manuscritos de Dupaix, militar español de origen luxemburgués aficionado a las antigüedades precolombinas que se entrevistó en 1803 con von Humboldt con motivo de su estancia en México, unido al examen de diversos archivos y notas personales del barón, así como de documentos conservados en diversas instituciones de uno y otro lado del Atlántico, permite seguir el recorrido singular de una célebre antigüedad mexicana, a saber la Chalchiuhtlicue, que el explorador prusiano identificó en 1810 como una “sacerdotisa azteca” en su obra Vues des cordillères … La presente contribución intenta rastrear a los sucesivos diferentes propietarios y las circunstancias que han acompañado durante más de medio siglo a la peregrinación de esta emblemática estatuilla prehispánica de México a Londres.

Allgemeine Einführung: Das Zusammentreffen eines luxemburgischen Antikensammlers und eines preußischen Naturforschers

Ende des 18. Jahrhunderts unternahm der junge preußische Freiherr Alexander von Humboldt (1769–1859), begleitet von dem französischen Botaniker Aimé Bonpland (1773–1858), eine bedeutende Expedition nach Lateinamerika (1799–1804). Als er 1803 das Vizekönigreich Neuspanien (das heutige Mexiko) erreichte, traf der damals 33-jährige Berliner Naturforscher in der Hauptstadt Guillermo Dupaix (1746–1818) einen 57-jährigen Soldaten luxemburgischer Herkunft, der in der spanischen Armee den Rang eines Kapitäns innehatte. Dupaix war ein großer Liebhaber präkolumbischer Altertümer und während eines Besuchs in seinem Haus entdeckte Humboldt dort eine Statuette, die er später als „aztekische Priesterin“ beschrieb, die aber tatsächlich Chalchiuhtlicue, die Göttin des Wassers, darstellte (Beyer 1965; López Luján et al. 2015; Le Brun-Ricalens et al. 2020a; Le Brun-Ricalens et al. 2020b; Le Brun-Ricalens et al. 2020c). Diese Skulptur aus vulkanischem Gestein ist besonders bemerkenswert, weil sie eines der ersten Artefakte der Mexica ist, das beschrieben und bekannt gemacht wurde (Humboldt 1810). Im Zeitalter der Unabhängigkeitsbestrebungen Lateinamerikas bedeutete dies einen wichtigen Schritt für die Anerkennung prähispanischer Zivilisationen und Kulturen im Okzident (Medina González 2011). Durch ihre einzigartige Reise von einer Seite des Atlantiks auf die andere ist dieses mesoamerikanische Objekt auch ein schönes Beispiel für eine Translokation (Savoy et al. 2021) im 19. Jahrhundert (López Luján et al. 2020; Le Brun-Ricalens et al. 2020). Der vorliegende Artikel1 will die Etappen der Odyssee dieses Meisterwerks über die letzten zwei Jahrhunderte, zwischen der Neuen und der Alten Welt, vom Real Seminario de Minería [Königliches Bergbauseminar] in Mexiko bis zum British Museum in London detailliert beschreiben.

Chronik einer transatlantischen Irrfahrt

Heute stellt das British Museum in seiner Abteilung Afrika, Ozeanien und Amerika eine außergewöhnliche Mexica-Skulptur der Wassergöttin Chalchiuhtlicue aus (Baquedano 1984; Mc Ewan 1994). Eine Konsultation der Datenbank des British Museum zeigt unter der Inventarnummer Am,St.3732: eine Andesit-Skulptur in einem grau-violetten Ton, deren Entstehung auf die Zeit um 1500 datiert wird. Mit Maßen von 37 cm Höhe, 19,5 cm Breite und 20 cm Tiefe ist diese Statuette nicht allzu groß.

Eine Mexica-Göttin

Die Komposition der Statuette stellt eine gelassen auf den Knien sitzende junge Frau dar. Ihre Darstellung folgt einer strengen vertikalen Symmetrie. Die Frau trägt einen komplexen Kopfputz, der uns den Schlüssel zur Identifizierung der angerufenen Gottheit gibt. Es handelt sich um eine Art zylindrische Mütze oder Haube, die auf der Oberseite glatt, aber an den Seiten mit fünf übereinanderliegenden horizontalen Bändern verziert ist: ein oberes Band aus rechteckigen Platten, drei glatte Zwischenbänder und ein unteres Band aus kugelförmigen Elementen. Dieser Kopfputz wird von zwei hervortretenden Quasten flankiert, deren hängende Fäden Kegelstümpfe bilden. Zwei Kordeln, die ebenfalls in Quasten enden, befestigen den Kopfschmuck im Nacken und ruhen auf einer rechteckigen Stola mit vertikalen Streifen. Auf der Rückseite schließt ein Ornament aus gefaltetem Papier, genannt amacuexpalli, den Kopfschmuck ab.

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Abb. 1 und 2. Die Göttin Chalchiuhtlicue von Tlatelolco (Am, St. 373), British Museum, London (© The Trustees of the British Museum).

 

Die Chalchiuhtlicue von Tlatelolco

Das ausdruckslose Gesicht der Figur spiegelt das Mexica-Ethos der Mäßigung wider. Sie hat elliptische Augen, eine breite Nase, leicht ausgeprägte Wangenknochen, einen leicht geöffneten Mund und ein durch einen alten Einschlag beschädigtes Kinn. Der Torso ist mit einem flachen quechquemitl (eine Art Schultertuch) bedeckt, das mit einem geraden Band und zahlreichen Quasten versehen ist. Zwei Arme zeichnen sich an den Seiten dieses Kleidungsstücks ab. Sie sind nach vorne abgewinkelt und ruhen auf den Oberschenkeln. Handrücken und Finger sind dargestellt, mit sichtbaren Fingernägeln und einem etwas gebogenen Daumen. Von der Taille bis zu den Knöcheln trägt sie ein ebenfalls glattes Kleid. Am unteren Ende des Rückens der Statuette hat der Bildhauer den beiden Sohlen der Füße eine anmutige Form gegeben. Sie sind nackt, die Zehen sind in ihrer Berührung einander zugewandt.

„Die mit dem Jaderock“

Es ist nicht verwunderlich, dass der deutsche Gelehrte Eduard Seler (1849–1922) als erster 1909 dieses Frauenbildnis als Chalchiuhtlicue (in Nahuatl: „die mit dem Jaderock“) identifizierte. Er verglich es mit anderen Darstellungen wie der im Codex Borbonicus (Seler 1909, 1992) und stützte sich auch auf die grundlegende Arbeit des spanischen Franziskanerpaters Bernardino de Sahagún (1499–1590) aus dem 16. Jahrhundert. Sie ist keine andere als die mächtige Göttin des Wassers, der Erde und der Meere, bekannt auch unter folgenden Namen: Acuecuéyotl („Wasserwellen“), Apozonállotl („Wasserschaum“) und Matlalcueye („die mit dem blauen Rock“). In den Mythen erscheint sie als Frau von Tlaloc (Gott des Wassers, des Regens und des Blitzes), mit dem sie Tecuciztecatl, die Personifikation des Mondes, zeugte. Als Wohltäterin wurde Chalchiuhtlicue von den Herrschern und Fürsten verehrt, die behaupteten, dass sie zusammen mit Chicomecóatl (der Göttin des Maises) und Huixtocíhuatl (der Göttin des Salzes) „das Volk ernährte[n], damit es leben und sich vermehren könne“. Die Hebammen riefen sie an, wenn sie die Neugeborenen badeten, damit sie sie mit ihrem Wasser reinige. Wie alle Götter des Mexica-Pantheons hatte auch Chalchiuhtlicue böse Aspekte: Man glaubte, dass die Göttin, wenn ihr Zorn entfesselt wurde, Stürme und Wirbelwinde verursachte, welche die Schiffe versenkten und deren Besatzung ertrinken ließen.

Im divinatorischen Kalender erscheint Chalchiuhtlicue als die dritte Herrin des Tages, die sechste Herrin der Nacht, die Patronin des Tages coatl („Schlange“) und die Regentin der unheilvollen dreizehn Tage, die am ersten Tag, 1-acatl (1-Schilfrohr) begannen. Im Sonnenkalender wurde sie mehrere Dutzend Mal gefeiert: Am Atlcahualo-Fest wurde sie zusammen mit den Göttern des Regens und des Windes verehrt. Zum Maisfest im 6. Monat (Etzalcualiztli) des Nahua-Kalenders, das den Beginn der Regenzeit markiert, opferten ihr die Wasserhändler und Bootsbauer einen Sklaven. Im vierten Monat (Huei Tozoztli) wurde ein Opfer, das die Göttin verkörperte, dargebracht und der Leichnam in den Strudel des Pantitlan geworfen. Für die Feste von Tepeilhuitl und Atemoztli wurden aus Amaranthpaste kleine kuppelförmige Statuetten der Göttin hergestellt.

Ein weltberühmtes Meisterwerk

1810 holte Humboldt die Chalchiuhtlicue von Tlatelolco aus der Anonymität und führte die Welt in die präkolumbische Kunst ein, indem er zwei Stiche dieser bemerkenswerten Statuette an den Anfang seines berühmten Pionierwerks Vues des cordillères et monumens des peuples indigènes de l’Amérique [Ansichten der Kordilleren und Monumente der eingeborenen Völker Amerikas] stellte. Die Publikation wurde in mehrere Sprachen übersetzt und war ein großer verlegerischer Erfolg (Fiedler, Leitner 2000). Der Freiherr interpretiert darin diese Skulptur als „Büste einer aztekischen Priesterin“ und sagt, er habe sie „an den Anfang meines Pittoresken Atlas“ gestellt, weil sie „einen kostbaren Überrest der aztekischen Bildhauerkunst“ sei (Humboldt 1810: Tafeln I und II; Lubrich, Ette, 2004: 21). Allerdings verliert Humboldt bei der Beschreibung des ersten Stichs seine Begeisterung: Er verwechselt die Hände mit den Füßen, ein Fehler, auf den ihn der italienische Archäologe Ennio Quirino Visconti (1751–1818) in einem Brief vom 12. Dezember 1812 hinweist. Dieses Missverständnis scheint Humboldt dazu veranlasst zu haben, diese bildhauerische Darstellung etwas zu diskreditieren, die Bearbeitung dieser Chalchiuhtlicue, die – seiner Meinung nach – „die Kindheit der Kunst beweist“ („ce qui indique lenfance de lart“, Humboldt 1810: 6).

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Abb. 3 und 4. Büste einer aztekischen Priesterin. Gravuren von Jean Baptiste Louis Massard, Tafeln I–II (Humboldt 1810) (© Reprografía Raíces).

 

Ein Mexica-Kopfputz, der an denjenigen der ägyptischen Göttin Hathor erinnert

Was jedoch die Aufmerksamkeit des Naturforschers am meisten erregte, war der Kopfschmuck der Skulptur, bei dem er große Ähnlichkeiten „mit dem Schleier, oder der Calantica der Isis-, Sphinx- und Antinoos-Köpfe, sowie vieler anderer ägyptischer Statuen“ (Humboldt 1810: 5; Lubrich, Ette 2004: 21) erkannte. Diese formale Verbindung war das Ergebnis kurz zuvor erfolgter Besuche in der Bibliothek der Villa Ludovisi in Rom und im Museum Borgianum in Veletri (1805 war sein Bruder Wilhelm als Diplomat im Vatikan), wo er reiche Sammlungen des alten Ägyptens untersuchen konnte. Er zog auch Nutzen aus seiner Vertrautheit mit den Publikationen von Bonapartes Expedition nach Nordostafrika in den Jahren 1798 bis 1801 (Denon 1803). Vielleicht wurde Humboldt ebenfalls von der Ägyptomanie, die nach der Rückkehr von Napoleons Feldzügen in Mode war, beeinflusst, wenn er darauf hinweist, dass der Kopfschmuck der Mexica-Skulptur demjenigen ähnelt, der „die Köpfe an den Kapitellen der Säulen von Tentyris [Dendera] umrahmt3, wie man sich durch die genauen Zeichnungen überzeugen kann, die Herr Denon in seinem Buch Voyage en Egypte, Tafeln 39, 40 und 60, vorgelegt hat“ (Humboldt 1810: 5; Lubrich, Ette 2004: 21). Zu beachten ist jedoch, dass der mexikanische Kopfschmuck mit Perlen verziert ist, von denen Humboldt glaubt, dass sie von den fernen Küsten Kaliforniens nach Tenochtitlan gebracht wurden. Schließlich drückt Humboldt Zweifel daran aus, dass die Skulptur „irgendeine mexicanische Gottheit darstellt und ursprünglich unter den Hausgöttern ihren Platz hatte“ (Humboldt 1810: 6; Lubrich, Ette 2004: 22) oder „ein gewöhnliches aztekisches Weib vorstellt“ (Humboldt 1810: 6; Lubrich, Ette 2004: 22).

„Büste … [aus] dem Cabinet eines Herrn Dupé.“

Es ist wichtig in den Vues des Cordillères … (Humboldt 1810) folgende Bestätigung hervorzuheben:

Es handelt sich um eine Basaltbüste, die in Mexico im Kabinett eines aufgeklärten Kunstliebhabers steht, Herrn Dupé, Kapitän im Dienste Seiner Katholischen Majestät. Dieser gebildete Offizier, der den Geschmack für die Kunst in seiner Jugend in Italien entdeckt hatte, hat mehrere Reisen ins Innere Neu-Spaniens unternommen, um die mexicanischen Monumente zu studieren (Humboldt 1810; Lubrich, Ette 2004: 21).

Der Band VIII (1802–1804) der Amerikanischen Reisetagebücher Alexander von Humboldts, die in der Staatsbibliothek in Berlin aufbewahrt werden, bezeugt ausdrücklich seinen Austausch mit „Herrn Dupé“, dessen Name insbesondere bei der Beschreibung des Tizoc-Steins erwähnt wird4. Außerdem gibt Humboldt an, dass Dupaix „mit vorzüglicher Sorgfalt … die Reliefs der Pyramide von Papantla gezeichnet und könnte über diese ein höchst merkwürdiges5 Werk herausgeben“ (Humboldt 1810: 4; Lubrich, Ette 2004: 21). Der Name „Herr Dupé“ erscheint auch unter den beiden Stichen6 (Humboldt: Tafeln I und II), die in Paris von Massard dem Älteren („der Ältere“, d.h. Jean Baptiste Louis Massard, 1772–1815?) nach zwei Skizzen angefertigt wurden: „Die Büste ist unter Herrn Dupés Augen von einem Schüler der Malakademie zu México sehr genau gezeichnet worden“ (Humboldt 1810: 6; Lubrich, Ette 2004: 22), Zeichnungen, die Humboldt von Dupaix erhalten hatte.

Ein entscheidendes Treffen in Mexiko im Jahr 1803

Es ist in der Tat erwähnenswert, dass Humboldt und Bonpland fast ein Jahr im Vizekönigreich Neuspanien verbrachten, und zwar zwischen dem 22. März 1803 und dem 7. März 1804 (López Luján, Gaida 2015). Aus den Daten und trotz der falschen aber phonetisch korrekten Schreibweise des Patronyms durch Humboldt wird klar, dass er sich hier auf den in Luxemburg geborenen Dragonerkapitän Guillermo Dupaix (1746–1818) bezieht, der seit 1791 in Mexiko-Stadt ansässig war (López Luján 2015; Le Brun-Ricalens et al. 2014). Laut Aufzeichnungen wohnte Dupaix unweit des großen zentralen Platzes (Plaza Mayor) in der Straße Coliseo Viejo 17 (heute 16 de Septiembre Nummer 45), fünf Gehminuten von dem Haus entfernt, das Humboldt während seines Aufenthalts bewohnte, in der Straße San Agustín 3 (heute Calle Uruguay Nummer 80). Es ist außerdem wahrscheinlich, dass es sich bei dem „Schüler“ um José Luciano Castañeda (1774–1834?) handelte, den wenig talentierten Zeichner aus Toluca, der zwischen 1789 und 1802 Schüler der Königlichen Akademie der Schönen Künste in San Carlos war und der Dupaix auf seinen drei königlichen Expeditionen begleitete: den „Real Expedición Anticuaria“, die von 1805 bis 1809 durchgeführt wurden.

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Abb. 5. Portrait von Alexander von Humboldt 1803 in Mexico. Öl auf Leinwand von Rafael Ximeno y Planes (© Facultad de Ingeniería, Universidad Nacional Autónoma de México).

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Abb. 6. Portrait eines Kapitäns der „Dragoner von Mexico“ um 1800. Öl auf Leinwand (© CNRA, Luxembourg).

 

Herkunft: Gefunden auf einem Dach

Kapitän Dupaix war nie ein großer Sammler (López Luján 2015). Er hatte im Wesentlichen einen dokumentarischen Ansatz mit dem Anliegen, seine Feldbeobachtungen durch technische Zeichnungen und schriftliche Beschreibungen wissenschaftlich festzuhalten (López Luján, Pérez 2013). In den nach seinem Tod 1818 erstellten Inventaren gibt sein Testamentsvollstrecker, der aus dem Baskenland stammende Bergbauingenieur Fausto Elhuyar (1755–1833), an, dass der pensionierte Dragonerkapitän 69 Steinobjekte, 52 Keramikobjekte, sechs Bronzeobjekte, ein Holzobjekt sowie eine Sammlung aus 40 Gebäudefragmenten und zwei kleine Schubladen mit Kleinobjekten besaß (UTBLACG369)7. Aufschlussreicher für unsere Zwecke ist ein aus mehreren Blättern bestehendes altes Manuskript in spanischer Sprache mit dem Titel Breve descripcion de algunas Estátuas antiguas mexicanas de Piedra en mi Poder [Kurze Beschreibung einiger mir gehörender alter mexikanischer Statuen aus Stein] und dem Zusatz „Untersucht vor der Einrichtung einer königlichen Kommission auf Grund meiner Liebe zu den alten mexikanischen Künsten, zu der ich mich bekenne.“ (AHBNAH, G. O. 131)8 Dupaix beschreibt darin detailliert zwölf Skulpturen, die er zwischen 1791 und 1804 für seine eigene Sammlung erworben hatte. Besonders hervorzuheben sind einige Werke, deren heutiger Standort bekannt ist: die Köpfe eines Toten und einer Wassergöttin (Museo Nacional de Antropología, Mexiko-Stadt, Inv. 10-193 und 10-15717), eine Schildkröte (Musée du quai Branly, Paris, Inv. 1887.155.9), ein „dio viejo“9 [alter Gott] (Museum der Kulturen, Basel, Inv. IVb 649) sowie eine Maisgöttin (Brooklyn Museum of Art, New York, Inv. 51.109).

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Abb. 7. Privatarchiv von Guillermo Dupaix, „Breve Descripcion de algunas Estátuas (…)“, G. O. 131, AHBNAH, Mexico, um 1804, Blätter 1 und 2 (© Reprografía Miguel Ángel Gasca, BNAH).

 

Glücklicherweise wird in dieser Liste auch die Chalchiuhtlicue-Skulptur erwähnt. Sie ist unter „Nr. 3“ aufgeführt. „Diese (sehr schwere) Porphyr-Statue, etwas violett getönt und verwittert, misst in der kauernden Haltung oder Stellung, die sie innehat, etwas weniger als eine halbe „vara“10 [ca. 42 cm]. Ich habe sie auf dem Dach des Hauses eines Indianers im Stadtteil Santiago [Tlatelolco] der Hauptstadt gefunden und ich habe sie ihm abgekauft.11“ Dupaix beschreibt sie ausführlich:

Wenn wir die sehr harte Qualität dieses Steins bedenken, stellen wir fest, dass sie gut gearbeitet ist. Was die Bekleidung und die Verzierung betrifft, so sind sie recht originell. Was den Körper betrifft, so ist kein anderes Kleidungsstück zu sehen als eine Art Skapulier mit kleinen Kugeln oder Schellen am Rand und die armadura oder Haube, die abgenommen und aufgesetzt werden kann, da sie in einem Stück ist, das aus sechs Teilen oder Zierstücken bestand oder besteht. Auf der Vorderseite ein Diadem aus Perlen oder ein Perlenband mit zwei seitlichen Quasten mit Fransen, auf der Rückseite eine Form, die zwei ausgebreiteten Flügeln ähnelt, aus denen zwei Anhänger oder Quasten hervorgehen, und ein quadratisches, geripptes Tuch (AHBNAH, G. O. 131)12.

Schließlich unternimmt er einen Identifikationsversuch:

Nun, was können wir über diese Darstellung sagen, denn hier kann sie nur vermutet werden. Man könnte annehmen, dass sie vielleicht das Symbol oder die Darstellung irgendeiner Gottheit sein könnte, wenn man ihre Bekleidung betrachtet (es sei denn, es ist die eines religiösen Führers) und ihre ehrfurchtsvolle Haltung legt die eines zelebrierenden Geistlichen an einem Ort der Anbetung in Gegenwart des falschen Scheins irgendeines Gottes nahe. Im Bereich der Altertümer hat sie das Hauptverdienst, in einem perfekten Erhaltungszustand geblieben zu sein, eine Integrität, die zu ihrem großen Wert in den Augen des Altertumssammlers beiträgt (AHBNAH, G. O. 131)13.

Der mittellose Zeichner

Gehen wir zurück in das Jahr 1818, als Elhuyar begann, eine Liste der Papiere und archäologischen Objekte zu erstellen, die im Haus des verstorbenen Kapitäns Dupaix aufbewahrt wurden. Dieser hohe Beamte und Freund des Verstorbenen wollte einerseits festlegen, was die Produkte der „Ausübung der Königlichen Kommission“ in der Real Expedición Anticuaria waren und somit das Eigentum der „hohen Regierung“, und andererseits, was die ältesten archäologischen Objekte waren, die seinen „privaten Inkursionen“ (López Luján, Pérez 2013) zu verdanken waren. Elhuyar erwog, den Vizekönig Juan Ruiz de Apodaca (1754–1835) um Unterstützung für eine groß angelegte Operation zu bitten, um die von Dupaix und Castañeda während ihrer königlichen Expeditionen dokumentierten Altertümer in der Hauptstadt zusammenzuführen. Dies beinhaltete die Beschlagnahmung von 72 Objekten an 20 verschiedenen geografischen Orten. Als die beiden archäologischen Sammlungen zusammengeführt worden waren, ordnete Elhuyar selbst an, dass sie „in einen geeigneten Raum im Königlichen Bergbau-Seminar“14 gebracht werden sollten, dessen Direktor er war, das er aber nach der Unabhängigkeit Mexikos 1821 verlassen musste. Als treuer Untertan der hispanischen Krone kehrte er nach Spanien zurück.

Zwei Jahre später, 1823, behauptete der Engländer William Bullock (1773–1849), diese Sammlungen im Seminar gesehen zu haben und nutzte die Gelegenheit, um Zeichnungen zu kopieren und einige der Antiken zu beschreiben. Die Unabhängigkeit Mexikos führte zweifelsohne zur raschen Zerstreuung beider Sammlungen. So wurde 1825 ein Großteil der Objekte in den Hauptsitz des mexikanischen Nationalmuseums verlegt und anschließend in drei Teile aufgeteilt.

Ein erster Teil konnte in Mexiko bleiben und wird heute im Museo Nacional de Antropología und in der Biblioteca Nacional de Antropología e Historia verwahrt. Diese Sammlung wurde durch den Kauf mehrerer von Dupaix zusammengestellter Dokumente, die sich in den Händen des Historikers Federico Gomez Orozco (1891–1962) befanden, und dann im Jahr 2014 noch durch die Schenkung eines Faszikels über Xochicalco durch die Familie Bernal Verea bereichert.

Ein zweiter Teil wurde auf Initiative des ersten Kurators des Museums, des Priesters Isidro Ignacio de Icaza (1783–1834), mit dem ersten Gesandten der USA in Mexiko Joel R. Poinsett (1779–1851) ausgetauscht, der ihn später der American Philosophical Society von Philadelphia schenkte.

Ein dritter Teil gelangte 1921 nach Austin, in den Süden der Vereinigten Staaten, als die Nachkommen des Historikers Genaro García (1867–1920), der zwischen 1907 und 1913 dreimal Direktor des Museo Nacional de Arqueología, Historia y Etnografía in Mexiko-Stadt gewesen war, ihn an die Universität von Texas verkauften.

Ein Versuch, eine Translokation zu protokollieren

Was die archäologischen Objekte betrifft, so kennen wir zwar die genauen Umstände nicht, aber es ist klar, dass Castañeda die unruhige Situation ausnutzte, um sich um 1824 einen großen Teil davon anzueignen und so den Lohn zu erhalten, den ihm die spanische Regierung für seine Dienste in der Königlichen Expedition noch schuldete. Es ist gut dokumentiert, dass er Ende desselben Jahres (Fauvet-Berthelot et al. 2007) eine öffentliche Versteigerung abhielt, an der neben mehreren englischen Bürgern auch ein junger Franzose aus New Orleans namens André Latour Allard (1795–1863) aus einer weißen kreolischen Grundbesitzerfamilie teilnahm. Der Louisianer Allard erhielt den Zuschlag für den Erwerb von 180 archäologischen Objekten, mehreren Manuskripten, 120 Zeichnungen, die die königliche Expedition betrafen, sowie für einen Kodex, der angeblich aus der Sammlung Boturini stammte.

Im Jahr 1825 verschiffte André Latour Allard die reiche Fracht nach Frankreich. Wir werden nicht ins Detail gehen (Fauvet-Berthelot et al. 2007), aber nach einer langen Reihe von Wechselfällen gelangten die archäologischen Objekte nach Paris. 1849 wurden sie an den Louvre verkauft und werden heute im Musée du quai Branly aufbewahrt (López Luján, Fauvet-Berthelot 2005). Zur gleichen Zeit wurden weitere Manuskripte und Zeichnungen 1827 von Agostino Aglio (1777–1857) im Auftrag von Edward King (1795–1837) alias Lord Kingsborough erworben, der sie 1831 in den Bänden 4 und 5 seines Werks mit dem Titel Antiquities of Mexico veröffentlichte.

Bei der Versteigerung 1824 hatte Castañeda nicht alle archäologischen Objekte verkauft. Fünf Jahre später empfing der mexikanische Zeichner Castañeda, den französischen Künstler Jean-Frédéric Waldeck (1766?–1875) in seinem Haus in der Callejón de la Condesa. Nachdem Waldeck Castañedas archäologische Sammlung gesehen hatte, notiert der Forscher enttäuscht in sein Tagebuch: „Es gibt nur ein einziges schönes Stück aus Stein (…) Ich bin reicher als er an Idolen …“ (Baudez 1993: 56). Er bezog sich damit auf den „vieux Dieu de Bâle“15 (López Luján et al. 2020: 21–22) den Castañeda später an den Schweizer Kaufmann Lukas Vischer (1780–1840) verkaufen sollte. Im selben Jahr, 1829, besuchte auch der deutsche Drucker und Künstler Maximilian Franck (1780–1830) das Haus von Castañeda und zeichnete seinen „vieux Dieu“ mit Bleistift, ebenso wie 14 andere Stücke: elf bescheidene Keramikgefäße, eine Maya-Jadeplatte, eine Skulptur von Chicomecoatl (Am, St. 376) und die Chalchiuhtlicue von Tlatelolco. Er skizzierte drei Ansichten davon und notierte am Rand auf Französisch: „Figure en porphyre (…) De la collection de M. Castanetto à Mexico“ [Porphyr-Statuette (…) Aus der Sammlung von Herrn Castanetto in Mexiko] (Franck 1830). Castañedas letzte Jahre waren besonders schwer, obwohl er sowohl zum Zeichner und Hüter des neuen Nationalmuseums (AHMNA16, V. 1, 1831) ernannt als auch als ordentliches Mitglied in das Institut für Geografie und Statistik in Mexiko-Stadt aufgenommen worden war.

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Abb. 8. Chalchiuhtlicue (Am,St.373). Sammlung Dupaix, Castañeda, Glennie und Christy (Franck 1830, British Museum, Blatt 67 (© The Trustees of the British Museum).

 

Englische Investoren im mexikanischen Bergbau

In den Archiven des British Museum ist ein altes Registerblatt über die Chalchiuhtlicue von Tlatelolco erhalten, auf dem „Glennie collection“ verzeichnet ist. Diese Notiz legt nahe, dass ein gewisser „Glennie“ nach Castañeda der neue Besitzer dieser Skulptur war. Aus historischer Sicht muss daran erinnert werden, dass nach den ersten Jahren der mexikanischen Unabhängigkeit viele Engländer kamen, angezogen von den Bodenschätzen (vor allem Silberminen), die durch Humboldts Werke bekannt geworden waren. Mehrere Publikationen und Archivdokumente (Green 2020) weisen ausdrücklich darauf hin, dass im Jahr 1824 der Ingenieur und Leutnant der Royal Navy William Glennie17 (1797–1856) in Begleitung seiner jüngeren Brüder Robert Gavin (1805–1872) und Frederick (1808–1872) aus London eintraf. William gründete zusammen mit Lucas Alamán18 (1792–1853) und einem gewissen Arthur David Louis Agassiz19 nach kurzer Zeit die United Mexican Mining Company20, eine Gesellschaft (Hills 1827: 31–35, 103; MacGillivray 1833: 345; Van Young 2021: 266–267), die Anteile in den heutigen Bundesstaaten Oaxaca, Jalisco, Guanajuato, Zacatecas und Chihuahua besaß.

Außerdem erlangten die Gebrüder Glennie 1827 Berühmtheit, als sie den 5426m hohen Popocatepetl (Glennie 1827) bestiegen. Im selben Jahr erforschte William die Ruinen von Mitla und nahm im Auftrag des britischen Botschafters Henry G. Ward Messungen an den Blöcken des alten Palastes vor (Ward 1828). 1834 kehrte William endgültig nach England zurück, während seine Brüder das Familienunternehmen übernahmen und später bei verschiedenen Potentaten in Guanajuato angestellt waren. Schließlich gibt es Dokumente, die darauf hinweisen, dass Frederick um 1853 und ebenfalls 1866 als britischer Konsul in Mexiko diente sowie 1857 als einstweiliger dänischer Konsul, während Robert 1859 das dänische Konsulat leitete und 1862 als einstweiliger britischer Konsul fungierte (AHGESRE21 42-6-89, 1908). Aufgrund der obigen Ausführungen gehen wir davon aus, dass Castañeda die Skulpturen der Chalchiuhtlicue und des Chicomecóatl zwischen 1829 und 1834 an einen der Brüder Glennie verkauft hat.

Der mesoamerikanische Kunstliebhaber und der britische Bankier

Laut der Datenbank besitzt das British Museum heute fast 160 archäologische Objekte aus der ehemaligen Glennie-Sammlung. Es scheint, dass sie von einem reichen Bankier, Gelehrten, Philanthropen und Sammler, dem Engländer Henry Christy (1810–1865), erworben wurden. Zu dieser Sammlung gehört auch die Chalchiuhtlicue von Tlatelolco. Der Verkauf könnte zwischen 1834 und 1856 von William Glennie selbst in London oder vielleicht nach seinem Tod in letzterem Jahr von seiner Witwe getätigt worden sein. Der Verkäufer könnte auch sein Bruder Frederick Glennie gewesen sein, als er sich 1850 kurz in London aufhielt, oder eventuell Frederick oder Robert, als Christy 1855 in Begleitung des englischen Anthropologen Edward Burnett Tylor (1832–1917) Mexiko besuchte. Es ist eine interessante Ironie der Geschichte, dass Letzterer in seinem 1861 erschienen Buch mit dem Titel Anahuac erwähnt, dass Christy eine weibliche Skulptur besaß, die der von Humboldt beschriebenen (Tylor 1861) sehr ähnlich war, es sich aber tatsächlich um dieselbe handelte!

Richtig ist, dass die Chalchiuhtlicue aus Tlatelolco bereits unter der Nummer 51 („Eine sehr schöne Statue (…) eines mexikanischen Priesters von hohem Rang“) in dem 1862 erschienenen Katalog der Christy-Sammlung des berühmten dänischen Kurators Carl Ludvig Steinhauer (1816–1897) erscheint. Zu dieser Zeit besaß Christy bereits 1085 Objekte, davon 602 mesoamerikanischer Herkunft, die er stolz in seiner Londoner Villa in der Victoria Street ausstellte (Steinhauer 1862).

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Abb. 9. Originaler Archivbeleg des British Museum: Chalchiuhtlicue (Am,St.373) (© The Trustees of the British Museum).

 

Vom Minenseminar in Mexiko zum Britischen Museum in London

Am Ende dieser Reise findet diese Chronik der Translokation der Chalchiuhtlicue aus Tlatelolco 1865 mit dem Tod von Christy in London ihren Abschluss. In seinem Testament vermachte Christy seine Sammlungen dem British Museum. Er hinterließ ebenfalls einen reichlichen finanziellen Fundus, um es dem Museum zu erlauben, die Sammlung in seinem Namen zu erweitern. Obwohl die wechselvolle Geschichte des Wegs dieser bemerkenswerten antiken Statuette durch verschiedene Länder, Kontinente und privaten Besitz mit der Aufnahme der Chalchiuhtlicue von Tlatelolco in eine öffentliche Sammlung innerhalb einer staatlichen Institution endet, bleiben verschiedene Fragen offen. Angesichts der Tatsache, dass sie 200 Jahre später nicht in ihrem Ursprungsland und -kontinent bewahrt wird, reiht sie sich in die aktuelle Debatte ein22 (Savoy, 2003; Savoy et al. 2021), die den Begriff des Sammelns und der Aneignung von Objekten des Kulturerbes eines anderen Staats zum Nachteil eines schwächeren infrage stellt … In diesem Zusammenhang ist es gut, daran zu erinnern, dass der junge mexikanische Staat, der 1821 seine Unabhängigkeit erlangte, in dem Bestreben, sein archäologisches Erbe zu schützen, schon im November 1827 ein Gesetz über Zoll und Grenzen der mexikanischen Republik verabschiedet hat, das den Schutz des Kulturerbes mit einem Verbot der Ausfuhr von Kulturgütern beinhaltete. Es wurde 1870 von einem Artikel im Bürgerlichen Gesetzbuch ergänzt sowie im Jahr 1897 von einem Gesetz über den Schutz historischer Monumente (Sanchez Cordero Davila 2004; Cornu 2004).

Wie dem auch sei, durch die Teilnahme an diesen Rousseau’schen Reflexionen, die sich anlässlich der Feierlichkeiten zum 250. Jahrestag der Geburt des Freiherrn Alexander von Humboldt gegen alle (kolonialen) Praktiken der Entfremdung und Enteignung erheben, war die Möglichkeit einer temporären Ausstellung der Chalchiuhtlicue des British Museum in Berlin eine Gelegenheit, sowohl den Scharfblick des luxemburgischen Pioniers Guillermo Dupaix als auch die wissenschaftliche und visionäre Relevanz des jungen preußischen Forschers mit kosmopolitischem Geist zu würdigen. Ihre Begegnungen und ihr Austausch im Jahr 1803 rund um die Chalchiuhtlicue waren entscheidend für die Sensibilisierung der westlichen wissenschaftlichen Gemeinschaft sowie für die Förderung des mesoamerikanischen archäologischen Erbes. Durch die bahnbrechende historiografische Rolle, die die Chalchiuhtlicue von Tlatelolco verkörpert, ist sie eines der wichtigsten Symbole für die Anerkennung des präkolumbischen historischen und kulturellen Erbes.

Anmerkung der Autoren

Dieser Beitrag ist die Frucht langjähriger Arbeit der Autoren. Die Informationen, die unserem Kollegen und Freund David Blankenstein übermittelt wurden, haben ihm erlaubt eine kurze Notiz in dem den Brüdern Humboldt gewidmeten Ausstellungskatalog zu schreiben (Blankenstein et al. 2019: 244). Diese Ausstellung fand vom 21. November 2019 bis zum 19. April 2020 im Deutschen Historischen Museum anlässlich des 250. Geburtstages von Alexander von Humboldt statt.

Auf Anfrage verschiedener amerikanistischer Kollegen schien es relevant, die Details der gesammelten Daten an Forscher weiterzugeben. In diesem Zusammenhang wurde 2020 eine erste Version in spanischer Sprache über Chalchiuhtlicue in der Zeitschrift Arqueología Mexicana (López Luján et al. 2020) sowie eine erweiterte Version in französischer Sprache in Archaeologia Luxemburgensis (Le Brun-Ricalens et al. 2020) veröffentlicht. Die Autoren danken herzlich allen Personen und Institutionen, die die Durchführung dieser Untersuchungen zu Chalchiuhtlicue, Dupaix und Humboldt ermöglicht haben. Unserer besonderer Dank gilt Frau Dr. Monika Linder und Herrn Dr. Ralf Breslau, Staatsbibliothek zu Berlin, Herrn M. A. David Blankenstein, Humboldt Forum, und Herrn Dr. Jago Cooper, British Museum. Für die Übersetzung ins Deutsche danken wir Frau Gisela Hauer.

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Ward, Henry George (1828): Mexico in 1827. London: H. Colburn, 2 Bde., 591 und 730 S.

1 Siehe Anmerkung der Autoren am Ende des Textes.

2 Notation unter Berücksichtigung der im British Museum archivierten Daten (siehe Abb. 9). Am(erica), (L. Nummerierung) St. (einhauer Nr.) 373.

3 Die ägyptische Göttin Hathor darstellend.

4 Unserer besonderer Dank gilt Frau Dr. Monika Linder und Herrn Dr. Ralf Breslau, Staatsbibliothek zu Berlin, für die Auskünfte zum Originalband Nummer VIII der Humboldt-Tagebücher. Online zugänglich über die digitalisierte Sammlung der Staatsbibliothek, Werksansicht [86]–66v, Seite 128 nach Humboldt. Humboldt schrieb Dupaix Namen als „Dupey“ in der 5. Zeile, https://digital.staatsbibliothek-berlin.de/werkansicht?PPN=PPN779884590&PHYSID=PHYS_0086&view=overview-toc&DMDID=DMDLOG_0001.

5 Im Sinne von „sehenswert“, wie die sogenannten „Wunderkammern“.

6 Unter dem Stich der Tafeln I und II (Humboldt 1810) befinden sich folgende Angaben: unten links: „Gezeichnet in der Académie de Peinture [Akademie für Malerei] von Mexiko nach dem Original in Basalt, das sich im Kabinett von Herrn Dupé befindet“ und unten rechts: „Gestochen in Paris, von Massard dem Älteren“.

7 Nettie Lee Benson Latin American Collection, The University of Texas, Austin (U.S.A.).

8 Archivo Histórico Biblioteca Nacional de Antropología e Historia, Mexico-Stadt (México).

9 Es handelt sich um eine Statuette (Inv. Nr. IVb 649), die sich heute im Museum der Kulturen Basel (ehemaliges Völkerkundemuseum der Stadt) befindet.

10 Spanische Maßeinheit (media vara castellana = 41,8 cm).

11 Übersetzung Gisela Hauer.

12 Siehe Fußnote 8, Übersetzung Gisela Hauer.

13 Siehe Fußnote 8, Übersetzung Gisela Hauer.

14 Real Seminario de Minería de Mexico.

15 Siehe Fußnote 9.

16 Archivo Histórico Museo Nacional de Antropología e Historia, Mexico-Stadt.

17 Vgl. Familienarchive Glennie-Rawes. https://www.rawes.co.uk/family.htm [letzter Zugriff am 20.08.2021].

18 Brief von Alamán [4. November 1825] an Humboldt gesendet hat (Blankenstein et al. 2019: 275: Kat. 5.30). Universitätsbibliothek Leipzig, Handschriftenabteilung, Nachlässe/Autographen (Slg. Römer A 8).

19 Auch Agassis mit „s“ geschrieben.

20 Siehe Archiv UMMA (United Mexican Mining Association, 1825).

21 Archivo Histórico „Genaro Estrada“ de la Secretaría de Relaciones Exteriores, México.

22 In diesem Zusammenhang wurde kürzlich, am 18. September 2019, trotz einer Eingabe des mexikanischen Staates, eine Statuette aus Vulkangestein, die Chalchiuhtlicue darstellt, bei der Auktion des Auktionshauses Millon im Hôtel Drouot in Paris für 377.000 Euro verkauft (ehemalige Sammlung Manichak und Jean Aurence). Eine Gelegenheit, die genutzt wurde, um diese Art von Aktion anzuprangern, die die Plünderung, den illegalen Handel und Imitationen des archäologischen Erbes im Allgemeinen und des präkolumbischen im Besonderen unterstützt.

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