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Ulrich Stottmeister

Der Mineraloge August Schmidt und die Entdeckung der Ural-Diamanten 1829
Teil II: Schmidts wissenschaftlicher Diamanten-Beweis und sein weiteres Schicksal im Ural

Zusammenfassung

Aus Archivfunden und historischen Zeitungsbe­richten rekonstruiert der Artikel die Lebensspuren von August Schmidt (1802–1832) während seiner Tätigkeit im Ural als Mineraloge und Bergwerksverwalter. Ausführlich werden die von Schmidt angewendeten naturwissenschaftlichen Analysemethoden beschrieben, mit denen ihm der eindeutige Nachweis der ersten gefundenen Ural-Diamanten gelang. Schmidt überbrachte Alexander von Humboldt (1769–1859) einen der Diamanten als Geschenk seines Vorgesetzten, Adolphe Graf von Polier (1795–1830), und erhielt die Gelegenheit, Humboldt seine eigenen Ideen zur technischen Modernisierung und zur Energieeinsparung vorzustellen. Der frühe Tod von August Schmidt, der im Ural Fjodor Fjodorowitsch Schmidt genannt wurde, verhinderte weitgehend die Verwirklichung dieser Ideen und führte durch die Vornamensunterschiede zu gerichtlichen Auseinandersetzungen um seinen Nachlass.

Abstract

August Schmidt (1802–1832) during his time in the Urals as a mineralogist and mining administrator. The scientific analysis methods used by Schmidt with which he was able to clearly identify the first Ural diamonds found are described in detail. Schmidt presented Alexander von Humboldt (1769–1859) one of the diamonds as a gift from his superior, Adolphe Comte de Polier (1795–1830), and was given the opportunity to present Humboldt his own ideas for technical modernization and energy economy. The early death of August Schmidt, who was called Fyodor Fyodorovich Schmidt in the Urals, largely prevented the realization of these ideas and led to legal disputes over his estate due to the difference in first names.

Резюме

В статье на основе архивных материалов и исторических газетных сообщений реконструируется жизнь Августа Шмидта (1802–1832 гг.) во время его работы на Урале в качестве минералога и Управляющего рудником. Подробно описаны методы научного анализа, использованные Шмидтом, с помощью которых он смог однозначно идентифицировать первые найденные уральские алмазы. Шмидт передал Александру фон Гумбольдту (1769–1859) один из алмазов в качестве подарка от своего начальника, графа Адольфа Польера (1795–1830), и получил возможность представить Гумбольдту свои собственные идеи по технической модернизации и энергосбережению. Ранняя смерть Августа Шмидта, которого на Урале называли Фёдором Фёдоровичем Шмидтом, во многом помешала реализации этих идей и привела к судебным спорам по делам его наследствa из-за разного написания имени.

Einleitung

Der deutsche Mineraloge und Bergingenieur August Schmidt (1802–1832) nahm im Jahr 1829 an einer Etappe der „Russisch-Sibirischen Reise“ Alexander von Humboldts teil. Neue Erkenntnisse zu Schmidts Ausbildung in Weimar und an der Bergakademie Freiberg sowie zu den Persönlichkeiten, die seine Anstellung als Bergwerksdirektor im Ural vermittelten, wurden von Stottmeister (2021) im Teil 1 dieser Studie beschrieben.

August Schmidt war als „Entdecker der Ural-Diamanten“ bereits 1829 benannt worden (Anonym 1829, siehe Teil 1), danach war aber diese persönliche Leistung in Vergessenheit geraten. Wahrscheinlich trug dazu auch die Verwendung des unrichtigen Vornamens „Friedrich“ in der wissenschaftlichen Literatur bei. „Wiederentdeckt“ wurde August Schmidts verdienstvolle Tätigkeit durch die russischsprachige Publikation des aus dem Ural stammenden Geologen Boris G. Schadrin (Schadrin 2017), der auch Recherchen in deutschen Archiven1 anregte. Schadrins Studien in staatlichen und regionalen russischen Archiven trugen entscheidend zur Klärung des Schicksals von August Schmidt bei.

In dem von Damaschun und Schmitt herausgegebenen Sammelband (Damaschun, Schmitt 2019) beschreibt C. Eckert in seinem Beitrag „De Adamante – der Diamant“ die Geschichte der Ural-Diamanten (Eckert 2019). Der Autor fügt Informationen aus unterschiedlichen Quellen zusammen und kommentiert diese aus der Sicht eines Geologen, der auch die Perm-Re­gion selbst bereist hat. Zusätzlich behandelte Teilthemen wie z. B. die widersprüchliche Rolle Kokscharows2 (l. c. S. 273) und Zerrenners3 Kontakte zu Humboldt (l. c. S. 271) werden in die Darstellungen einbezogen. Eckert zitiert die Briefe Alexander von Humboldts an seinen Bruder Wilhelm, in denen er über den Verlauf der Reise und das Auffinden der Diamanten berichtete (l. c. S. 270). Fotografien aus dem Berliner Naturkundemuseum belegen, dass eine Sammlung geologischer Proben aus dem Ural unter dem Namen „Sammlung von Friedrich Schmidt“ existiert (l. c. Abb. auf S. 269). Eckert bedauerte, dass über das Leben Schmidts wenig bekannt ist (l. c. S. 267, Anm. 4.).

Mit der vorliegenden aus zwei Teilen bestehenden Studie wird die Biographie von August Schmidt umfassend dargestellt. Mit seinem Lebenslauf direkt oder indirekt zusammenhängende Themenkreise wie die Beziehungen Alexander von Humboldts zu Graf Polier, die Zusammenarbeit Schmidts mit dem damaligen Mineralogischen Museum der Berliner Universität (Schmitt 2019, S 24) und der Lebensweg seines Nachfolgers, des Freiberger Absolventen Ludwig Graube, werden in getrennten Beiträgen dargestellt werden.

Durch den Mineralogen Frédéric Soret, ein Freund Goethes mit Verbindungen zum Russischen Kaiserhof und in hervorgehobener Stellung am großherzoglichen Hof in Weimar, wurde Schmidt in die Position eines Verwalters von Bergwerken im Ural vermittelt. Im Frühjahr des Jahres 1829 reiste Schmidt von St. Petersburg aus zusammen mit seinem zukünftigen Vorgesetzten, dem Grafen Polier4, zu seiner neuen Wirkungsstätte.

Alexander von Humboldt und Graf Polier waren aus ihrer Pariser Zeit befreundet5 und hatten verabredet, gemeinsam von Nischni Nowgorod bis in den Ural zu reisen. Polier und seine Begleiter trafen sich mit der Humboldt’schen Reisegesellschaft am 19./31. Mai 1829 am verabredeten Ort. Schmidt konnte auf diese Weise an allen Bergwerks- und Goldgruben-Besichtigungen Humboldts und den fachlichen Diskussionen der begleitenden Geologen bzw. Mineralogen teilnehmen. Humboldt erwartete ebenso wie die anderen an der Reise teilnehmenden Mineralogen, im Ural Diamanten zu finden. Diese Erwartungshaltung war bereits in den Jahren vor der Reise durch einen internationalen Wissensaustausch zu den geologischen Ähnlichkeiten der Kontinente entstanden (Teil 1).

1 Die „wissenschaftliche Entdeckung“ und Identifikation der Ural-Diamanten durch August Schmidt

Am 19. Juni (1. Juli) verließ Polier in Kuschwinsk (Kuschwa) (Position 7 in Abb. 1) nach den gemeinsamen Besichtigungen von Bergwerken und Goldminen die Humboldt-Expedition, um zu den Besitzungen seiner Ehefrau zu gelangen. Dazu war es notwendig, in westlicher Richtung die Hügelkette des Ural zu überqueren. Im Besitz der Gräfin Polier befanden sich in dieser Region 8 Fabriken, davon in Biser6 ein Eisenwerk (Position 1 und 2 in Abb. 1). In etwa 25 km Entfernung davon befand sich die Goldmine Krestowosdwischensk. Heute trägt der Ort den Namen Promysla.7

In Abb. 1 werden die Orte der Region Perm hervorgehoben, die mit dem Wirken von August Schmidt verbunden sind und in der nachfolgenden Zusammenstellung erläutert werden.

  1. Krestowosdwischensk, vormals Biser Datscha (Бисерская дача) und Krestowosdwischenkije Zolotyje Promysla“ (etwa: Goldmine Christi Kreuzerhöhung) heute Promysla. Bei Pro­mysla verläuft die geographische Grenze Asien-Europa. Diese wird am Ortsausgang durch eine Säule angezeigt.
  2. Biser (Бисер): heute Dorf mit Ortsteilen Staryj Biser, der Bahnstation und Biser Eisenwerke.
  3. Bissert (Бисерть): Ort an der Straße Perm-Jekaterinburg, um 1830 Eisenwerke der Familie Demidow.
  4. Miass, (ehemals Miask): Treffpunkt zwischen der aus Asien zurückgekehrten Humboldt-Reisegesellschaft und Schmidt, Übergabe des Diamanten.
  5. Werchnemulinsk: Übernachtungsort beider Reisegruppen vom 31. Mai/12. Juni bis 1. Juni/13. Juni 1829. Verwaltungsort der Uralwerke und Anlaufpunkt für Schmidt.
  6. Straße zwischen Slatoust und Kyschtym. Auf der Fahrt zwischen beiden Orten am 27./28. August (8./9. September) konnte August Schmidt im Gespräch mit Alexander von Humboldt seine Ideen zu Salinen und Goldwäschermaschinen darstellen.
  7. Begräbnisort von Schmidt in Kuschwa (früher Kuschwinsk) (der Friedhof ist nicht mehr vorhanden).

Hier hatten sich Polier und Schmidt von der Humboldt-Reisegesellschaft getrennt.

Entfernungsangaben (Heutige Straßenkilometer)

Perm-Jekaterinburg: 360 km

Jekaterinburg–Miass 239 km

Bissert–Biser 392 km

Der Graf Polier war ebenso wie die anderen von der Euphorie aller geologisch-mineralogisch interessierten Mitreisenden der Humboldt-Reisegruppe erfasst worden. Der Grund dafür war, dass Humboldt bereits in St. Petersburg beim Anblick von Goldsanden aus den der Gräfin Polier gehörenden Goldgruben Diamantenfunde vorausgesagt hatte. Daher ließ Polier unmittelbar nach der Ankunft im Biserter Eisenwerk dem Aufseher seiner Goldwäschen den Auftrag übermitteln, ihm bei seiner bevorstehenden Inspektion Proben von auffälligen Goldsanden und Mineralien „von Interesse“ vorzulegen (Rose 1837, S. 356 f.).

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Abb. 1: Wirkungsregion von August Schmidt zwischen 1829 bis 1832 zwischen Perm – Jekaterinburg – Miass (Miask). (Hintergrundkarte: Apple Inc., Mac OS Mojave).

 

Mit diesem Auftrag wurde eine Zufallsreihe eingeleitet, an deren Anfang ein aufmerksamer minderjähriger leibeigener russischer Grubenarbeiter stand und die mit der eindeutigen Identifizierung der ersten drei in Europa gefundenen Diamanten durch August Schmidt einen für die damalige Zeit spektakulären Höhepunkt erreichte.

Vom 23. Juni (5. Juli) bis Ende Juli 1829 inspizierte Graf Polier Krestowosdwischensk und die Adolphskij Grube8 sowie den Orten zugehörige Werke sowie die Perm-Verwaltung im Dorf Werchnemulinsk (s. o.).

Am 23. oder 24. Juni konnte Schmidt die Sammlung der Steine betrachten, die auf Anordnung des Grafen Polier vom Aufseher als besonders auffällig aussortiert worden waren. Unter diesen befand sich auch ein Stein, dessen besondere Klarheit dem jungen Leibeigenen Pawel Popow aufgefallen war und den er dem Aufseher gezeigt und übergeben hatte. Die Besonderheit dieses Steines fiel Schmidt ebenfalls sofort auf.

In der älteren russischsprachigen Literatur zur Entdeckung der Ural-Diamanten wird insbesondere mit dem sich vertiefenden Nationalismus unter Nikolaus I. und in der Sowjetzeit nahezu ausschließlich der vierzehnjährige leibeigene Grubenarbeiter Pawel Popow als der Entdecker des ersten Diamanten genannt. Die Namen von Polier und Schmidt werden nicht erwähnt. Das Schicksal von Popow wird ausführlich durch Schadrin (2017) beschrieben und gewürdigt. Die materielle Belohnung und die Aufhebung der Leibeigenschaft durch die Gräfin Polier wurden dokumentarisch belegt. In Promysla befindet sich ein Gedenkstein für Popow in der Nähe der ersten Fundstelle (Raspopow 2019).

Gelegentlich wird der Graf Polier als der alleinige Entdecker der Diamanten genannt. Der Graf war mineralogisch interessiert und hat die entscheidenden Anordnungen getroffen, die zum Auffinden der Diamanten führten. Seinerzeit war es nicht ungewöhnlich, dass dem Prinzipal die besonderen Leistungen von Untertanen zugeschrieben wurde. Ob das im Briefzitat des Kap. 1.4 verwendete „wir“ tatsächlich auf eine gemeinsame experimentelle Untersuchung von Polier und Schmidt hindeutet, kann nicht belegt werden.

Im Vorgriff soll bereits hier erwähnt werden, dass nach dem Tod von August Schmidt die Gräfin Polier für ihn als „Entdeker der sibirischen Diamanten einen zweisprachigen Gedenkstein, (ein „kostbares Monument“), anfertigen ließ (Anonym 1832).

Dieser Gedenkstein hat die Zeit nicht überdauert.

Hanno Beck (1959, S. 55, Fn. 62) vermerkt:

Der wissenschaftliche Entdecker (der Diamanten, USt) ist zweifellos Schmidt. Poliers Name als der des Besitzers wurde in zeitgenössischen Berichten zuerst genannt. Rose (dagegen, USt) nennt Schmidt zuerst. (Rose 1837, I, S. 353)

Timur W. Charitonow als ein Kenner und Dokumentarist der Geschichte der Ural-Diamanten beschreibt die Entdeckungsgeschichte der Diamanten (Charitonow 2012, 2016) aus der gleichen Sicht wie Beck:

Ihre Bestimmung wurde von F. Schmidt, Minenmanager, Mineraloge und Absolvent der Freiberger Bergakademie, vorgenommen. F. Schmidt, welcher den Fund identifizierte, und nicht Popow, sollte als Entdecker der russischer Diamanten angesehen werden.9

In der bisherigen Geschichte der Ural-Diamantenentdeckung spielte die Beschreibung des exakten naturwissenschaftlichen Nachweises, nämlich dass es sich bei den Funden der Adolph­skij-Goldgrube der Gräfin Polier tatsächlich um Diamanten handelt, nur eine untergeordnete Rolle. Jedoch musste erst durch einen sicheren und überzeugenden fachmännischen Beweis unmittelbar nach dem Auffinden abgesichert werden, dass es sich ohne Zweifel um Diamanten handelte. Nur mit dieser Sicherheit konnte diese seinerzeit sensationelle Entdeckung der Allgemeinheit bekanntgegeben werden. Aus diesem Grund wird auf den Diamantennachweis Schmidts besonders eingegangen.

Für Laien sind Rohdiamanten kaum von anderen ähnlich aussehenden Mineralien zu unterscheiden. Sogar die mit Humboldt reisenden Mineralogen waren bei ihrer Suche nach Diamanten (s. Teil 1) in den besichtigten Goldwäschen von glänzenden Quarzen in ihren Hoffnungen getäuscht worden. Rohdiamanten weisen durch ihre hohe Lichtbrechung einen bestimmten Glanz auf, der dem aufmerksamen leibeigenen Jungen Pawel Popow offenbar aufgefallen war.

Rose übernimmt eine Kopie des von Graf de Polier an Cancrin gerichteten Briefes mit der Nachricht über den Diamantenfund im Andenken an den verstorbenen Graf in seinen Reisebericht. Er erwähnt hier namentlich:

Herr Schmidt hatte alle für einen Mineralogen nöthigen Instrumente bei sich, wodurch wir in den Stand gesetzt wurden, mit diesen 3 Krystallen Versuche anzustellen, um die Realität der Entdeckung zu bestätigen. (Rose 1837, S. 356–358)

In Schadrins Übersetzung des Originalbriefes von Graf de Polier (Polier 1829b, Schadrin 2017, Zitat 110) ins Russische heißt es zur inhaltlich gleichen Stelle:

Bei mir [Polier, USt.] war ein sächsischer Mineraloge und wir besaßen alle Mittel, um die mineralogischen Prüfungen durchzuführen. Dieser Umstand begünstigte uns, an drei Fundstücken verschiedene Versuche durchzuführen. (Schadrin 2017, S. 135 f.)

Was waren damals die für einen Mineralogen „nöthigen Instrumente“ oder „alle Mittel?

Da dieser Frage in der Forschung zur russisch-asiatischen Reise bislang noch nicht nachgegangen wurde, soll – ausgehend von den zwei Versionen der Übersetzung des Briefes Polier an Cancrin – besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden.

Schmidt war offenbar durch seine exzellente theoretische und praktische Freiberger Ausbildung in der Lage, im Vorgriff auf seine Aufgaben im Ural die benötigten Geräte auch in den Ausführungen mit sich zu führen, die für die mineralogischen Untersuchungen „im Feld“ geeignet waren.

Im wissenschaftlich-technischem Museum der Technischen Universität Bergakademie Freiberg sind Originale einer solchen Ausrüstung aufbewahrt worden. Mit hoher Wahrscheinlichkeit hatte Schmidt ein ähnliches Instrumentarium mit sich geführt. Die abgebildeten Geräte stammen zwar teilweise erst aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, sind aber unverändert oder nur im Detail verbessert, bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts benutzt worden – auch der Autor selbst ist noch an gleichartigen Modellen und mit den entsprechenden Methoden ausgebildet worden. Diese alten Techniken zeichneten sich durch leichte Handhabung und eine hohe Genauigkeit bei einfachem Transport aus.

1.1 Die visuelle kristallographische Begutachtung

Eine optische Zuordnung unabhängig von der subjektiven Aussage eines „besonderen Glanzes“ der Rohdiamanten kann bei vorhandenen kristallographischen Kenntnissen leicht erfolgen. Es liegt durchaus im Bereich des Möglichen, dass August Schmidt in Weimar die von Frédéric Soret betreuten Rohdiamantensammlungen (siehe Teil 1) sehen durfte und er deshalb sofort auf die Diamanten aufmerksam wurde. Der entsprechend ausgebildete Schmidt dürfte bei den ersten Rohdiamanten deren einfaches kubisches Kristallsystem mit der typischen Oktaeder-Fläche erkannt haben. Derartige gut sichtbare Flächen sind später als charakteristisch für die „Ural-Diamanten“ beschrieben worden.

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Abb. 2: Ural-Diamant. Der im Natur­kundemuseum Berlin ausgestellte Rohdiamant lässt die für die Diamantenkristallisation typische Dreiecksfläche gut erkennen. Quelle: Museum für Naturkunde Berlin, Mineralogische Sammlung: MFN_MIN_1999_4995, Foto: Hwa Ja Götz.

 

Rose (Rose 1837, S. 364) beschreibt den Diamanten, den Humboldt als Geschenk erhielt, wie folgt:

Der Diamant hat die Form eines nach einer rhomboedrischen Axe verkürzten Dodecaeders, dessen Flächen in der Richtung der kurzen Diagonalen schwach gebrochen und nach diesen, stärker aber nach der Richtung der längeren Diagonalen gewölbt sind … Dieselbe Form wie dieser hatten auch noch andere 29 Diamanten … (l. c. S. 365)

Der im Berliner Museum für Naturkunde befindliche Diamant wird von E. Fischer 196110 wie folgt charakterisiert:

Bei dem Diamanten handelt es sich um einen linsenförmigen Zwilling nach {111} mit gerundeten Ecken bzw. gebrochenen Flächen. Er ist begrenzt (im wesentlichen) von dem Octaeder {111} und mehreren Isooctaedern, darunter wohl {321}.

Dieser „Berliner Diamant“ weist ein Gewicht von 34,7 mg auf.

An dieser Stelle soll darauf hingewiesen werden, dass es sich bei dem im Berliner Naturkundemuseum gezeigten Diamanten (34,7 mg) wegen der auffälligen Gewichtsunterschiede nicht um „den“ Humboldt-Diamanten (132 mg) handeln kann, wie dies irrtümlich in der Literatur (z. B. bei Polier 1963, S. 124) berichtet und auch in der Beschriftung der Vitrine des Berliner Naturkundemuseums zu lesen ist.

Aus heutiger Sicht wird vorgeschlagen,11 diesen kleinen Berliner Diamanten als einen Ural-Diamanten zu betrachten, der wahrscheinlich aus der Fundstelle der Goldmine „Adolphskij“ bei Biser stammt.

1.2 Die transportable Feinwaage

Die Wägung ist die Grundlage der klassischen quantitativen Bestimmung in der Chemie, Mineralogie und Bergwerkskunde, insbesondere auch bei der Gehaltsbestimmung von Edelmetallen in Erzen und Sanden.

Zu den Grundgeräten der quantitativen geologischen Feldarbeit gehörte eine empfindliche transportable Waage. Mit dem aus den Freiberger Sammlungen stammenden und in Abb. 3 abgebildeten Exemplar wurde eine Empfindlichkeit von plus/minus 1 mg erreicht. Damit war diese Waagen-Konstruktion sogar für die Edelmetallbestimmung nach der Lötrohrmethode (Richter 1866) geeignet und erlaubte eine schnelle Analyse des Gold-, Silber- oder Platingehaltes in Erzen oder Waschsanden ohne Laborbedingungen. Es ist anzunehmen, dass August Schmidt eine vergleichbare Waage verwendete und damit das Gewicht der gefundenen Diamanten auf drei Stellen nach dem Komma genau bestimmen konnte.

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Abb. 3: Transportable Feldwaage, um 1880. (Sammlung Bergakademie Freiberg, Foto: Stottmeister)

 

1.3 Die Bestimmung des spezifischen Gewichtes12

Das spezifische Gewicht einer Festsubstanz als Quotient aus Gewicht und Volumen G/V benötigt zur Berechnung ebenfalls die genaue Wägung und eine Volumenbestimmung, die ebenfalls über die Wägung vorgenommen wird. Das Grundprinzip unter Verwendung von „Dichte-Fläschchen“ (Pyknometer) wurde bereits vom arabischen Universalgelehrten Al Biruni (973–nach 1050) erfolgreich zur Edelstein und Edelmetallbestimmung angewendet. Am einfachsten erfolgt diese Bestimmung des spezifischen Gewichts nach dem Archimedischen Prinzip mit einem geeichten Pyknometer (Abb. 4)13 nach der Methode von Gay-Lussac14.

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Abb. 4: Doppelwandiges Pyknometer zur Temperierung (um 1900) nach Gay-Lussac. Es ist davon auszugehen, dass Schmidt ein ähnliches Gefäß für seine Bestimmungen des spezischen Gewichtes benutzt hat. Aus der Sammlung der Fakultät für Chemie und Mineralogie der Universität Leipzig. Aufnahme: Stottmeister.

 

Das spezifische Gewicht bestimmte Schmidt für die Probe 1 und 2 gemeinsam, da aufgrund der Kleinheit der Diamanten eine einzelne Volumenbestimmung durch die Verdrängung der Pyknometerflüssigkeit zu ungenau gewesen wäre. Bemerkenswert ist, dass der heutige tabellarische Wert für das spezifische Gewicht von Diamanten genau mit dem von Schmidt ermittelten Wert übereinstimmt (s. Tab. 1). Damit ist die Genauigkeit seiner Wägung belegt.

Diamant Nr.

1

Erster Ural-Diamant

2

„Humboldts Geschenk“

3

Dritter Ural-Diamant

Finder

 

Pawel Popow (etwa 14 Jahre)

Iwan Sokolow*

Iwan Sokolow

Fundtag

23./24. Juni/5./6. Juli

25. Juli/7. Juli

Einige Tage (?) nach Abreise von Polier aus dem Seifenwerk

Gewicht (g)

0,105 g

0,132 g

0,253

Karat (heute: 1 Karat = 200 mg, im Jahr 1829: 205 mg)

0,53

0,65

1,26

Spezifisches Gewicht (g cm3)

(heutiger Tabellenwert für Diamanten: 3,52)

Zusammen mit Nr. 2 bestimmt zu 3,520

Zusammen mit Nr. 1

bestimmt zu 3,520

 

3,514

* Dem ebenfalls minderjährigen Minenarbeiter Iwan Sokolow wird das Auffinden des zweiten und dritten Diamanten zugeschrieben (Raspopow 2019). Über ihn existieren keine Angaben.

Tab. 1: Zusammenstellung der durch August Schmidt experimentell ermittelten Werte zum spezifischen Gewicht (Gewicht pro Volumen) zur Absicherung der Diamanten-Identität

Graf Polier hatte den zweiten der gefundenen Diamanten als Geschenk für Alexander von Humboldt bestimmt. Das erste und das dritte Exemplar nahm er mit sich, um diese dem Minister Cancrin zu übergeben, der sie wahrscheinlich dem Kaiser Nikolaus I. zeigte. Eine Tabelle aller in Krestowosdwischensk zwischen dem 23. Mai 1830 und dem 12. Dezember 1847 gefundenen Diamanten hatte Carl Michael Zerrenner (1818–1878) zusammengestellt (Zerrenner 1849). Es sind 64 Stück unterschiedlichen Gewichts aufgeführt, wobei der größte 1,5 Karat, aufwies. Von Eckert (Eckert 2019, S. 272) wurde das Original dieser Liste abgebildet, die Zerrenner als Anhang eines Briefes an Alexander von Humboldt übermittelte.

1.4 Die Bestimmung der Mineralienhärte

Die Bestimmungsmethode zur Härte eines Minerals war von Schmidts Lehrer Friedrich Mohs (1773–1839) in Graz entwickelt (mit 10 Härtegraden) und später durch Breithaupt (s. Teil 1 Kap. 1) in Freiberg auf 12 Härtegrade erweitert worden.

Die Mohs-Skala ist heute noch gültig und setzt den Diamanten an die oberste Stelle einer Reihenfolge (Härtegrad 10) als die härteste aller bekannten mineralischen Verbindungen. Man kann davon ausgehen, dass Schmidt die von Mohs zur Härtebestimmung festgelegten Mineralien mit sich führte, wahrscheinlich in ähnlicher Weise – wie in der Abb. 5 zu sehen – in einem Etui angeordnet und damit für eine Bestimmung im Gelände geeignet.

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Abb. 5: Prüfkoffer zur Härtebestimmung nach Mohs, etwa 1860. (© TU Bergakade­mie Freiberg/Michael Schwan)

 

Zu Härtebestimmung schreibt Polier in seinem Bericht an Cancrin:

Wir konnten uns ebenso versichern, dass die Härte der Steine bedeutender war, als die des Quarzes, den sie mit Leichtigkeit ritzten und dass der Korund sie nicht angriff. Aber die Kleinheit dieser Diamanten und ihre abgerundeten Ecken erlaubten uns nicht, diesen letzten Stein zu ritzen. (Rose 1837, S. 356–358)

Quarz hat in der Mohs-Skala die Härte 7, Korund die Härte 9. Mit dem Korund konnte der zu untersuchende Kristall nicht geritzt werden. Damit war die Diamanthärte der Probe angezeigt worden (größer als Härte 9), wenngleich der Probediamant (Härte 10) zur Ritzungsprüfung (die als „Diamant auf Diamant15 eventuell auch eine Beschädigung hätte hervorrufen können) nicht verwendet werden konnte, da die Proben zu klein waren.

2 Alexander von Humboldt und August Schmidt

2.1 August Schmidt schildert die Reaktion Alexander von Humboldts auf die Überbringung des Diamanten

Nachdem die eindeutige Identifizierung dieser gefundenen Diamanten durch Schmidt erfolgt war, erhielt dieser von seinem Prinzipal Graf Polier den Auftrag, bei dem vorgesehenen Treffen in Miask zusammen mit der Nachricht über den Diamantenfund den zweiten der drei gefundenen Diamanten als Geschenk persönlich an Humboldt zu übergeben.

Während in den Reisetagebüchern die so wichtige Überbringung der Nachricht von der Auffindung der Diamanten von Rose nur kurz,16 von Ehrenberg17 und Menschenin18 überhaupt nicht erwähnt wurde, hat Schmidt in seinem ausführlichen Brief an Polier die Szene im Detail und sehr bildlich beschrieben. Diese emotionale Reaktion Humboldts ist bisher nur in der russischen Literatur beschrieben worden (Schadrin 2017).

Schmidt war am 2. August 1829 aus Werchnemulinsk abgereist (Tab. 2) und war in Sorge, Humboldt zum vereinbarten Termin nicht mehr in Miask (Miass) zu erreichen und ihn so zu verfehlen. Er nahm aus diesem Grunde sogar einen kürzeren, wahrscheinlich aber beschwerlicheren Weg. In Miask angekommen, erfuhr er dann allerdings, dass Humboldt seine Pläne geändert hatte und weiter zur chinesischen Grenze aufgebrochen war und erst am 15. August zurückerwartet wurde. Schmidt musste sich entscheiden, ob er auf die Rückkehr Humboldts wartet oder zurückreist. In diesem Fall hätte er die Reise nach Miask mit rund 600 km umsonst angetreten.19 Er entschied sich für das Warten und nutzte die Zeit zur Besichtigung von Gold- und Kupferminen der Region.

19. Juni

1. Juli

Kuschwinsk

Graf Polier und seine Begleitung trennen sich von der Humboldt-Reisegruppe

23./24. Juni

5./6. Juli

Krestowosdwischensk/Adolphskij Grube

Fund des ersten Diamanten. Gefunden am 23. Juni, als Diamant erkannt nach dem 24. Juni

Ab 21. Juli

Ab 2. August

Miask: Sojmanow-Minen und Minen in Slatoust

Schmidt reist nach Miask, er wartet auf Humboldt, besichtigt Bergwerke und Goldwäschen der Umgebung und sammelt Mineralien u. a. für Polier

23. August

4. September

Miask: Schmidt übergibt an Humboldt den zweiten gefundenen Diamanten im Auftrag des Grafen Polier

Beschreibung der Reaktion Humboldts durch Schmidt. Ehrenberg gibt für die Ankunft Schmidts den 6. September an

Tab. 2: Zusammenstellung der Ereignisse nach der Trennung August Schmidts von Humboldts Reisegruppe

Schmidt sammelte außerdem Mineralien, von denen er einige als unbekannt einschätzte. Für Polier stellte er eine Sammlung zusammen, die er diesem zu einem späteren Zeitpunkt übergeben wollte.

Schmidt konnte nach der Wartezeit Humboldt am 23. August (4. September) in Miask treffen20 (nach Ehrenberg am 25. August/6. September). Aus den Reisedaten, die sowohl von Menschenin als auch von Rose angegeben werden, lässt sich der 3. September als Ankunftstag der Humboldt-Expedition in Miask bestimmen. Rose schreibt:

Wir wurden hier (in Miask) durch das Wiedersehen zweier alter Freunde, der Herren Schmidt und Schwetsoff21 erfreut, die mit uns die Reise in den nördlichen Ural gemacht hatten und nun verabredeter Massen nach Miask gekommen waren, um Herrn von Humboldt noch einmal zu sehen und an den Exkursionen in die Umgebungen von Miask Theil zu nehmen … (Rose 1842, S. 21)

Das Wiedersehen mit Humboldt soll von Schmidt selbst in seinem Brief an Polier geschildert werden:

Am Morgen [des 4. September, USt.] konnte ich Herrn Humboldt besuchen. Ich war mit ihm allein und nachdem ich einen kurzen Bericht über die Reise gegeben hatte, den ich gerne mit Ihnen [gemeinsam nach dem 1. Juli, USt.] gemacht hätte, und nachdem ich einen ähnlichen Bericht über seine Reise gehört hatte, zog ich ohne zu zögern meinen kleinen Schatz [den Diamanten, USt.] aus meiner Tasche. Ich wage es nicht, die nächste Szene zu beschreiben, aber ich kann Ihnen versichern, dass es sich gelohnt hätte, eine Darstellung von Hogarth22 zu werden. Hier sind einige seiner Ausrufe:

– Es ist wirklich einer! [ein Diamant, USt.]

– auch noch während dieser Reise!

– und in einer der Minen von Herrn Graf Polier!

– welchen Aufruhr wird dies in St. Petersburg hervorrufen!

– wo ist Herr Rose – wo ist Herr Ehrenberg! …

Nach [diesen, USt.] ersten Ausrufen hatte ich die Ehre, Humboldt Ihren Brief vorzulegen. Er schien ihm große Freude zu bereiten. Nachdem er ihn durchgelesen hatte, äußerte er die Meinung, dass dieses Geschehen nur allerbeste Konsequenzen für den Graf Polier haben könne und dass es nicht notwendig sei, länger das übermittelte Geheimnis zu bewahren.23 (Schmidt (1829): RGADA-Brief 1)

Zu dem Versprechen, um dessen Einhaltung Polier gebeten hatte, äußerte sich Humboldt selbst aus Moskau in seinem Brief an Cancrin vom 24. Oktober (5. November) 1829.

Humboldt schrieb:

Graf Poliers wichtige Entdekkung der Diamanten läßt mir keinen moralischen Zweifel. Warum würden die russischen Aufseher bloß den D. gezeigt und sich selbst das Verdienst des Erkennens zugeschrieben haben? Der junge Schmidt (der Sachse) ist jeden Betrugs unfähig, war nie am Kaschkanar gewesen, spricht keine Sylbe russisch, verließ uns erst seit drei Tagen und konnte daher mit dem russischen Aufseher nichts besprechen. … Ich freue mich, dass eine solche Entdekkung unter Ihrem Ministerium und zur Zeit meiner Reise gemacht worden ist. (Humboldt 1869, S. 108 und Humboldt, ed. 2009)

Humboldt überzeugt Schmidt, mit ihm zusammen weiterzureisen und an den vorgesehenen Exkursionen teilzunehmen. Gemeinsam kamen sie am 25. August nach Slatoust, bestiegen den Taganaj, waren am 27. August in Sojmanowsk, um am 28. August (9. September) nach Kyschtym zu fahren, einem Ort auf der direkten Straße zwischen Miask und Jekaterinburg. Auf dieser Fahrt ergab sich für Schmidt die Gelegenheit, mit Humboldt einige technische Projekte zu besprechen und seine Ideen vorzustellen. Diese betrafen sowohl die Salzgewinnung und die Maschinenkonstruktionen zur Goldwäsche und geben einen Einblick in die Pläne und Absichten Schmidts. Humboldt selbst erwähnte diese Gespräche ebenfalls in seinem Brief an Polier aus Miask mit einem sehr positiven Kommentar (siehe Kap. 2.2).

Schmidt begleitete Humboldt bis zum Rasttag in Kyschtym und begab sich am 1. September (13. September) auf die 600 km lange Rückreise, um sich seinen neuen Aufgaben in den Bergwerken des Ural zu widmen.

Rose schrieb über die Verabschiedung Schmidts und Schwetsows:

Wir nahmen Abschied von unseren Freunden, den Herren Schwetsow und Schmidt, die von hier aus gleich ihre Rückreise nach Nischne-Tagilsk und Bissersk antreten wollten und trennten uns von ihnen nicht ohne Wehmut, da sie durch längern Verkehr uns lieb geworden waren. (Rose 1842, S. 173)

Rose fügte mit dem zeitlichen Abstand von acht Jahren, der sich zwischen der Humboldt’schen Expedition und dem Schreiben seines Reiseberichtes ergeben hatte, als Fußnote hinzu:

Das wir hier Herrn Schmidt zum letzten Male sahen und er schon nach einigen Jahren auf den Gütern des Grafen Polier sein Leben endete, ist schon früher angeführt. (Rose 1837, S. 87)

Humboldt reiste am 31. August (12. September) nach Miask zurück, beging dort am 14. September seinen 60. Geburtstag, um dann seinem Wunsch gemäß zum Kaspischen Meer weiterzureisen (siehe die bekannten Reisebeschreibungen).

Schmidt schrieb nach der Rückkehr nach Werchnemulinsk („dem unglückseligen oder traurigen Ort“, wie er kommentierte) am 16. September ausführlich an Polier, hatte also die Strecke von 600 km in etwa vier Tagen zurückgelegt. Aus diesem Brief wurde der obige Textteil zitiert, in dem Schmidt die Reaktion Humboldts auf die Überbringung des Diamanten beschrieb.

2.2 Das Gespräch Alexander von Humboldts mit August Schmidt über dessen Pläne und Absichten

Die persönliche Übergabe des zweiten der aufgefundenen Diamanten an Humboldt dürfte für August Schmidt ein emotionaler Höhepunkt gewesen sein, der dann aber durch die Gelegenheit zum ausführlichen Gespräch mit Humboldt auf der Landstraße zwischen Slatoust und Kyschtym (s. Abb. 1) am 27.–28. August/8.–9. September noch übertroffen wurde. Die Ausführlichkeit des Berichtes an den Grafen Polier (Schmidt 1829, RGADA Brief 1) lässt die Bedeutung des Geschehens für Schmidt erahnen.

Schmidts Briefe an Polier sind ausführliche Berichte über das aktuelle Geschehen in seinem Wirkungsbereich. Sie dokumentieren aber auch, wie der Briefschreiber es verstand, seine eigenen Pläne und Ideen mit den Anmerkungen Alexander von Humboldts zu kommentieren und durchaus selbstbewusst auch eine gegensätzliche Meinung zu den Ansichten des berühmten Gelehrten zu vertreten.

2.2.1 Die Verbesserung der Goldwaschmaschinen

Für August Schmidt ergab sich die einzigartige Möglichkeit, durch die zeitweise Teilnahme an der Humboldt-Expedition sein theoretisches Wissen zu ergänzen und durch die Vielzahl der Exkursionen und Besichtigungen die Realität des russischen Bergbaus kennenzulernen. Er hatte Vorbilder, denn in Thüringen gab es im Mittelalter durchaus einige erwähnenswerte Waschgoldvorkommen. Nach verschiedenen Bemühungen einer Wiederbelebung dieser Goldgewinnung zum Ende des 18. Jahrhunderts, insbesondere am Fluss Schwarza, wurden die entsprechenden Versuche erst im Jahre 1824 erfolglos eingestellt. Schmidt wird wahrscheinlich über die technische Ausrüstung dieser Goldwäschen informiert gewesen sein, da er sich auf die Leistungsfähigkeit von Konstruktionen in Deutschland bezog. Über die Technologie im Allgemeinen dürfte Schmidt ebenfalls in Freiberg durch seinen Technologie-Lehrer Wilhelm August Lampadius (1772–1842) unterrichtet worden sein.

In seinem Brief an Graf Polier vom 4. September 1829 berichtete Schmidt über die mit Humboldt diskutierten Themen: Zu Details der Maschinen zur Goldwäsche und zur Optimierung von halurgischen Konstruktionen. Schmidt schreibt an Polier: „Was Waschmaschinen betrifft, unterscheidet sich seine [Alexander von Humboldts, USt.] Meinung von meiner und, wie ich vermute, auch von Ihrer.“ (Schmidt 1829, RGADA Brief 1) Schmidt bezieht sich auf eine Überschlagsrechnung Humboldts zu den Kosten der Goldsandwäsche, die offenbar für die Anwendung der einfachen „Waschherd“-Technologie sprach (Abb. 6).

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Abb. 6: Goldseifenbaggerung und Waschherd-Verfahren am Ural (Foto um 1870, aus Berdrow 1901, S. 221, Abb. 191).

 

Schmidt war gegensätzlicher Meinung und fasst in seinem Bericht die Argumente zusammen, die für den Einsatz von zentral installierten Maschinen zur Goldwäsche sprachen.

Ich gebe zu, dass ich dieses Argument (Humboldts, USt) seltsam finde. …Nur die Einsparungen würden es nützlich machen, Maschinen in Ihren Minen einzuführen, Monsieur, wenn es keine anderen wichtigen Gründe dafür gäbe. (Schmidt 1829, RGADA Brief 1)

Solche durchaus überzeugenden Gründe sind nach Schmidt:

Es gibt viele Schwierigkeiten, eine große Anzahl von Menschen von einem Ort zum anderen zu transportieren, ihre Ausbildung und ihr Management, ganz zu schweigen von den anderen Schwierigkeiten, die Sie, Monsieur, dank der Reisen durch Ihr Land und Ihre Besitztümer besser kennen als ich.

Die Maschine arbeitet jedoch so geschickt, wie sie hergestellt wurde, ist einfach zu bedienen, hat keine Feiertage, muss nicht zum Einbringen von Heu gehen und ist außerdem äußerst ehrlich. (Schmidt 1829, RGADA Brief 1)

2.2.2 Die Optimierung der Salzgewinnung

Im Gebiet des Urals wurde bereits seit dem Mittelalter Salz gewonnen. Im 16. Jahrhundert begannen damit die Vorfahren der späteren Industriellen-Dynastie der Stroganows, zu deren Erben die Ehefrau des Grafen Polier gehörte, mit der Salzgewinnung. Die Stroganows erwarben in der Region um die Stadt Perm und am Fluss Kama große Ländereien und errichteten ein Salzmonopol, dessen Steuern zu einer wichtigen Einnahmequelle der russischen Regierung wurden. Es sollen hier nur einige beeindruckende Zahlen genannt werden: In der Salzproduktion waren 10 000 „freie“ Arbeiter beschäftigt, dazu 5 000 Leibeigene. Das Vermögen der Stroganows wurde auf drei Millionen Goldrubel geschätzt, die an die russische Krone zu zahlenden Steuern auf 250 000 Goldrubel.

Für die Salzgewinnung im Ural wurden sehr einfache Verfahren angewendet. Die Eindampfung der Sole erfolgte traditionell in Kesseln über offenem Feuer. Als Energiequelle wurde der reiche Holzbestand des Urals genutzt. Neue Technologien betrafen weniger die Eindampfung, als die Anfertigung von hölzernen Rohren und das Erschließen der Salzquellen, deren Bohrungen bis in eine Tiefe von über 100 Meter reichen konnten. Die Inspektion des Zentrums der Salzgewinnung bei Solikamsk24 wollte Polier ursprünglich ebenfalls während dieser Reise vornehmen, verschob diese Absicht aber auf das folgende Jahr, da die Messe in Nischni Nowgorod für ihn wegen der dort stattfindenden Preisabsprachen wichtiger war.

Schmidt erwähnte in seinem Brief an Polier (Schmidt 1829, RGADA Brief 1; Schadrin 2017, S. 131) ausdrücklich die Saline in Dürrenberg, denn er hatte dort bei seiner Weiterbildung (s. Teil 1) ein technologisch und insbesondere energetisch optimiertes Konzept kennengelernt, das durch Verbindung von Wasserkraft, Windenergie und neuartigen Eindampf- und Verbrennungstechniken seinerzeit Maßstäbe setzte. Schmidt beschreibt seine Vorstellungen:25

Die Dampfrohre von Herrn Hayes sind genauso gebaut wie die Rohre, die ich für ein neues Siedehaus bauen möchte, die eine Nachahmung von Rohren in Dürrenberg in Sachsen sind. Der Unterschied zwischen den beiden ist so unbedeutend, dass ich mich für Letzteres entscheide, das ich gut kenne und das meiner Meinung nach für die Anreicherung von Salz günstiger ist. Herr von Humboldt unterstützt meine Wahl und glaubt ebenso wie ich, dass die Verbesserung Ihrer Saline die Hälfte des Waldes und damit erhebliche Mittel einsparen wird.

Humboldt selbst äußerte sich in seinem Brief aus Miask an Polier lobend über die von Schmidt geäußerten Ideen. Humboldt schrieb am 2./14. September:

Ich habe mich ernsthaft mit Herrn S. [Schmidt, USt.] über halurgische Konstruktionen und das Waschen [des Sandes, USt.] unterhalten. Ich bin mit diesen Ideen einverstanden, da sie mir sehr vernünftig erscheinen. Man muss vor allem voranschreiten und nicht zögerlich beginnen.

(J’approuve ces idées qui me paroissent très saines, il faut surtout marcher et ne pas tâtonner.)

(Humboldt 1829, RGADA, Humboldt digital H0019136)

3 August Schmidt und seine Aufgaben als Bergwerksverwalter (nach Schadrin, 2017)

Das folgende Kapitel beruht vollständig auf den Recherchen Schadrins in russischen Archiven, insbesondere dem Archiv der Region Perm und dem RGADA, „dem Russischen Staatlichen Archiv Alter Akten“, und den durch ihn angeregten und später vom Autor ergänzten Recherchen in der Freiberger Universitätsbibliothek und dem Landesarchiv Thüringen.

Besonders hervorzuheben sind die drei bisher unbekannten Briefe August Schmidts an den Grafen Polier, deren Texte Schadrin in seine Monographie einbezog (Schadrin 2017, S. 125 f.).

3.1 Die Vollmachten von August Schmidt

Nach Schadrins Recherchen in den Archiven der Perm-Region konnten Details zur Amtseinführung von August Schmidt und zu seinen Rechten und Pflichten zusammengestellt werden (Schadrin 2017, S. 126 f.). Die Gespräche zu den Pflichten und Rechten des nunmehr so genannten Bergbauingenieurs „Fedor Fedorowitsch“ Schmidt fanden ab dem 16. Juli (28. Juli) 1829 in Anwesenheit des Grafen Polier als Verwalter des Eigentums seiner Ehefrau Warwara Petrowna, geb. Schachowskaja, und dem Vorstand der Perm-Verwaltung Nikolaj Dmitrijewitsch Jeschow in Werchnemulinsk statt.

Von besonderer Bedeutung für den der russischen Sprache unkundigen Schmidt war, dass ihm als Assistent ein junger Mann mit Namen Andrej Filimonowitsch Kamenskij zur Seite gestellt wurde, der „nach Bedarf eingesetzt werden konnte, so auch zur Aufsicht von Fabriken, und zur Aufsicht in Minen oder bei den dort ausgeführten Arbeiten.“ (l. c.)

Schmidts wesentliche Pflichten wurden von Graf Polier wie folgt formuliert:

Der Bergingenieur F. F. Schmidt wird weiterhin verpflichtet sein, … die Minen in den Ländern meiner Frau Warwara Petrowna zu überwachen und zu kontrollieren. Der Vorstand muss die Angestellten aller acht Fabriken benachrichtigen, damit sie ihm immer die Anzahl der Personen zur Verfügung stellen, die er für die Arbeit in den Minen benötigt und dass ihm dazu alle Mittel zur Verfügung gestellt werden. Er kann das Herrenhaus bewohnen. Ich verpflichte mich, insbesondere als Geschäftsführer, ihm alle Mittel zur Verfügung zu stellen, damit er von einem Ort zum anderen gelangen kann, wenn dies notwendig ist. Die Goldwäschen werden unter seiner besonderen Autorität stehen und der derzeitige Aufseher Borowkow ist verpflichtet, die Lieferung von Goldwaschmaschinen unter die Aufsicht von Herrn Schmidt zu stellen, da dieser auch Pläne und Zeichnungen erstellen wird …. (Polier, 1829a; Schadrin 2017, S. 126 f. sowie Zitat 104, 105)

Es wurde außerdem festgelegt, dass der Vorstand Herrn Schmidt nach jedem Monat 250 Rubel zahlen muss, und dass diese Zahlung bereits am 1. Mai 1829 erfolgen soll (l. c.).

Hierzu bemerkt Schadrin, dass eine derartige finanzielle Entlohnung Schmidts zu dieser Zeit sehr hoch war. Er nimmt an, dass dieser Betrag wahrscheinlich Ärger, Hass und Neid des damaligen Geschäftsführers N. D. Jeschow verursacht hat.

Im August 1829 reiste Graf Polier weiter nach Nischni Nowgorod zur Messe und Inspektion der dort befindlichen Güter seiner Frau Warwara Petrowna.

3.2 Probleme und Widerstände

Von diesem Zeitpunkt an nimmt August Schmidt seine Aufgaben als „Manager der Goldminen“ im Ural wahr. In Krestowosdwischensk wohnte er in einem noch heute erhaltenen Haus. Durch die Recherchen B. G. Schadrins sind nicht nur die Dokumente der Perm-Region aufgefunden und ausgewertet worden, sondern auch die im Moskauer RGADA archivierten Briefe Schmidts an den Grafen Polier und zusätzlich dessen Korrespondenz mit seiner Ehefrau Warwara Petrowna. Sie wurden von der französischen in die russische Sprache übersetzt und sind Teil der Monographie Schadrins. Die nachfolgend verwendeten Zitate oder inhaltlichen Beschreibungen beziehen sich auf Rückübersetzungen des Autors aus dem Russischen.

Im zweiten Brief vom 29. September26 berichtet Schmidt über den Fund weiterer vier kleiner Diamanten, die er in einer kleinen Schachtel dem Brief hinzufügt. Diese sind in der späteren Fundliste Zerrenners (s. o.) nicht enthalten.

August Schmidt schrieb (Übersetzung des Briefes französisch-russisch-deutsch):

Die kleine Schachtel, die ich Ihnen mit diesem Brief zu übermitteln wage, Monsieur, enthält ‚vier kleine Karbonarien‘. Ich hoffe, dass sie in Russland mit weniger Besorgnis gezeigt werden können als große Diamanten. In den Begleitdokumenten ist angegeben, wo sie gefunden wurden, wann sie gefunden wurden und wie viele Milligramm sie wiegen.

Ich wünsche ihnen, dass sie die Reise gut überstehen, … Herr Rose möchte eine Probe des Goldes von den örtlichen Minen erhalten, und um Ihnen Gelegenheit zu geben, ihm ein Geschenk zu machen, füge ich eine Spule [alte Gewichtsangabe, ungefähr 4 Gramm] von Adolphskij und die andere von Krestowosdwischensk hinzu. Darüber hinaus enthält die Schachtel mehrere Proben von goldhaltigem Chloritschiefer …

Die Weine sind noch nicht angekommen, aber der Gedanke an Ihre Freundlichkeit genügt mir, um mich zu begeistern. Ich freue mich auf Ihr Geschenk und wage es, Sie zu bitten, mich Ihrer großartigen Familie zu empfehlen, und insbesondere die Frau Gräfin um Vergebung zu bitten, dass die hinzugefügten Diamanten nicht für ein Diadem ausreichen.

Akzeptieren Sie meine Zusicherungen eines starken Wunsches, Ihnen zu dienen, und seien Sie sicher, dass ich alle Anstrengungen unternehmen werde, um das größte Glück zu verdienen, Herr Graf,

Ihr bescheidenster Diener, August Schmidt.

Krestowosdwischensk, 29. September 1829 (Schmidt 1829, RGADA, 2. Brief. Ausschnitt s. Faksimile)

Die von August Schmidt an Polier gerichteten erhaltenen drei Briefe geben interessante Einblicke in die soziale Situation und die Arbeitswelt der damaligen Zeit, sie lassen aber auch Rückschlüsse auf die Situation Schmidts und auf seine Gefühlswelt zu.

Am 12. November 1829, im dritten der vorhandenen Briefe an den schon schwerkranken Grafen Polier bedankte sich Schmidt aus Krestowosdwischensk für die Ankunft des Landsmannes Herrn Molterer.

Schmidt schrieb am 12. November:

Nach mehr als zwei Monaten des Kampfes mit allen Schwierigkeiten einer fremden Sprache und mit Menschen, die noch fremder sind, … fühlte ich so etwas wie Demut. Ihre Fürsorge, Herr Graf, und Ihre Freundlichkeit übertreffen wie immer alle Erwartungen und beschämen mich. Sie schicken mit großem Aufwand mit Herrn Molterer nicht nur einen Übersetzer und einen Sekretär sondern hoffentlich auch einen Freund … (Schmidt 1829, RGADA Brief 3)

Molterer brachte als ein besonderes Geschenk des Grafen eine Sammlung von 43 Diamanten in verschiedenen Kristallformen und Farben mit, dazu eine Skala zur Härtebestimmung. Schmidt dankte, erwähnte deren Nützlichkeit und erhoffte, später einmal eine ähnliche Sammlung dem Grafen übergeben zu können, allerdings mit Diamanten aus den eigenen Minen.

Schadrin verfolgte bei seinen Recherchen den weiteren Verlauf der Tätigkeiten Schmidts und beschreibt den Konflikt mit dem Inspektor Borowkow. Er dokumentiert, dass der

Generaldirektor Jeschow nach der schweren Erkrankung des Grafen und nach dessen Tod versuchte, seinen Einfluss auf die Gräfin Polier wieder zu vergrößern und die Befugnisse von Schmidt einzuschränken. Der Einspruch Schmidts an die Gräfin unter Umgehung des Vorstandes der Perm-Verwaltung führte zu einer weiteren Verschärfung der Situation. Die Gräfin stellte sich strikt auf die Seite Schmidts und erhöhte sogar noch dessen Befugnisse.

Im Frühjahr bzw. im Sommer 1830 wurde Jeschow vom Amt des Hauptgeschäftsführers der Perm-Besitzungen entlassen. Schmidt hatte schon zu der Zeit, als der Graf Polier ihn noch persönlich unterstützen konnte, in kürzester Zeit Neuerungen im Bergbau der Perm-Besitzungen der Gräfin Polier einführen können oder diese vorbereitet. Es ist vorstellbar, dass diese Maßnahmen nicht ohne Verschärfungen der allgemeinen Konfliktsituation verliefen.

3.3 August Schmidts Wirken in der Perm-Region

Die umfangreichen „geognostischen“ Ergebnisse der Reise Humboldts hat Gustav Rose (Rose 1842) ausführlich bis in die Einzelheiten der Analysenmethoden und -ergebnisse dargestellt. Eine Zusammenfassung ist bei Aranda u. a. (2014) durch den Beitrag von H.-J. Bautsch, S. 133–145, zu finden.

Schmidt hat ebenfalls eigene umfangreiche geologische Erkundungen durchgeführt und die Ergebnisse in den Briefen an seinen Prinzipal Graf Polier beschrieben. Er hatte Prof. Rose die Übersendung von Proben versprochen und dieses Versprechen auch eingelöst (s. Faksimile und Übersetzung des Brief-Abschnittes)27. Diese Proben sind heute zum größten Teil im Naturkundemuseum Berlin vorhanden.

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Faksimile des zweiten Briefes (Ausschnitt) vom 29. September 1829 mit der Unterschrift von August Schmidt (Schmidt 1829 RGADA Brief 2, Schadrin 2017: Abb. 22, S. 148).

 

4 Der Tod von August Schmidt und die nachfolgende Zeit

Während aus dem Jahr 1830 einige von der Gräfin Polier unterstützten Aktivitäten nachvollzogen werden können, sind aus dem Folgejahr 1831 keine Nachrichten über August Schmidt (Fjodor Fjodorowitsch Schmidt) überliefert.

Schadrin konnte durch seine Recherchen in der Region Perm nachweisen, dass August Schmidt am 12. Januar 1832 verstarb (Schadrin 2017, S. 130).

Es gelang ihm, die Todesursache und den Begräbnisort herauszufinden. Im Registerbuch der Kirche der „Heiligen Apostel Peter und Paul“ in Biserskij Sawod (siehe Ortschaft Biser, Abb. 1, Position Nr. 2) steht für das Jahr 1832 der Eintrag:

Am 12. Januar ist der 29-jährige Bergbauingenieur Fjodor Fjodorowitsch Schmidt aus der (Ortschaft) „Goldmine“ an einer Erkältung gestorben und auf dem Friedhof der Kirche des Kuschwinskij Sawod (siehe Ortschaft Kuschwa, Position 7 in Abb. 1) beigesetzt worden.

Leider ist nicht nur das Grab, sondern auch der Friedhof selbst28 nicht erhalten.

In den späteren Berichten über die Humboldtreise finden sich nur noch selten kurze Hinweise auf den frühen Tod des Herrn Schmidt, des zeitweiligen Reisebegleiters der Humboldtexpedition.

4.1 Das Gedenken der Witwe Gräfin Polier

Unbekannt war bisher die Reaktion der Witwe Warwara Petrowna Polier auf den Tod Ihres von ihr sehr geschätzten Verwalters. Sie dürfte ihn in Petersburg persönlich kennen gelernt haben, da Schmidt in seinen Briefen Grüße ausrichten lässt.

Deutschsprachige Zeitungen nicht nur des Baltikums der Jahre 1832 bis 1833 übermittelten nahezu gleichlautend die bislang unbekannte Mitteilung über die Errichtung eines Gedenksteines für „Herrn Schmidt“, veranlasst durch die Gräfin Polier.29 Über dieses Geschehen wurde in den genannten Zeitungen (Fn 29) in einem gleichlautenden Text berichtet:

St. Petersburg Ende Junius 1832

Die Gräfin Polier, geborene Fürstin Schachowsky, läßt dem verstorbenen Herrn Schmidt, Direktor ihrer Goldwäschen und Entdeker der sibirischen Demanten, ein kostbares Monument zu Bisersk am Ural setzen, was gegenwärtig hier fertig gezeigt wird. Die Inschriften sind russisch und deutsch und gereichen dem Verstorbenen nicht allein, sondern auch der Gräfin Polier zu wahrer Ehre. Hr. Schmidt war aus Weimar gebürtig und hatte sich auf der Bergakademie zu Freiberg für sein Fach gebildet.

Ein junger Sachse, Hr. Graube30 aus Johanngeorgenstadt, ist als sein Nachfolger hier angekommen. Der Demanten sind noch nicht viele, etwa ein Schok, gefunden worden. Dagegen kommen in verschiedenen Goldwäschen am Ural Platinstücke von ansehnlicher Größe immer häufiger vor.

Diesen Nachrichten über ein Denkmal für Schmidt kann erstmals entnommen werden, dass offenbar die Bemühungen Schmidts zum Auffinden von neuen Gold- und Platinvorkommen erfolgreich waren und – auch das war bisher unbekannt – bereits im Sommer 1832 ein Nachfolger für Schmidt gefunden worden war. In den späteren Berichten von Uralreisenden finden sich keine Berichte über das zweisprachige Denkmal für August Schmidt.

4.2 Das Vornamen-Problem und die Weimarer Gerichtsakten

Mit vollem Namen August Christian Friedrich Schmidt, nutzte dieser ausschließlich – auch in Russland – seinen ersten Vornamen. In der Reisegesellschaft Humboldts war er nur „Herr Schmidt“. Mit der Übernahme der Aufgaben als Verwalter der Ural-Bergwerke wurde er Fjodor Fjodorowitsch31 Schmidt genannt. Eine derartige Anpassung an die russische Tradition war seinerzeit nicht ungewöhnlich. Bis heute ist die Verwendung des Vornamens „August“ im Russischen sehr selten. Die traditionelle russische Sitte der Vornamens- und Vatersnamens-Verwendung erleichtert im täglichen Umgang bei der Anrede die gegenseitige Achtung ohne störende Förmlichkeiten. Irgendjemand hatte demnach – sicher in bester Absicht – diese bewährte Sitte auf Schmidt angewendet und Fjodor Fjodorowitsch gewählt, also „Friedrich Friedrichssohn“ nach seinem dritten Taufnamen. Das war naheliegend, denn auch sein Vater trug Friedrich als zweiten Namen (siehe Teil 1, Kap. 1.1). Friedrich war in Russland seinerzeit ein sehr geläufiger Name, denn die Ehefrau des Kaisers Nikolaus I. trug als Tochter des Preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. den Namen „Alexandra Fjodorowna“.

Auf dem Totenschein und dem Kirchenbucheintrag Schmidts stand die russische Namensgebung, die derart auch nach St. Petersburg an die Verwaltungsinstitutionen gemeldet wurde.

Damit wurde jedoch die Namenskalamität eingeleitet, die später das Gericht des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach beschäftigte. Es begann ein bis 1834 andauernder juristischer Vorgang, der in den „Geheimen Staats-Kanzlei-Akten“ im Landesarchiv Thüringen, Hauptstaatsarchiv Weimar aufbewahrt wird.32

In acht einzelnen Aktenblätter werden in französischer und deutscher Sprache die Benachrichtigungen an die Eltern über das Ableben ihres Sohnes bis zur Anerkennung des Vaters als Erbe mit dem richtigen Vornamen August dokumentiert.

Am 16./28. Juni 1832 benachrichtigte der Botschafter Baron von Schröder aus St. Petersburg den Baron von Fritsch in Weimar vom Tod des „Friedrich“ Schmidt. Er bittet, die Eltern zu benachrichtigen. Die Benachrichtigung erfolgte in Weimar schriftlich durch einen „Referendär“. Dieser schrieb an den Vater Johann Friedrich Schmidt:

Euer Wohlgeboren, soll ich im Auftrag des Großherzoglichen Staatsministeriums die von der Kaiserlich Russischen Gesandtschaft am Großherzoglichen Hofe eingegangene Nachricht von dem Ableben Ihres Herrn Sohnes, Friedrich Schmidt, gewesener Aufseher der Goldbergwerke der Frau Gräfin Polier in dem Gouvernement von Perm in der beygefügten beglaubigten Abschrift mittheilen

Euer Wohlgeboren pp. [Unterschrift] Weimar, den 3. July 1832.

(Blatt 3 der Akte)

Das rechtliche Problem bestand darin, dass August Schmidt als Nachlass „eine Summe Geldes und mehrere Effecten“ hinterlassen hatte. Diese sollten durch das Bankhaus Duval in St. Petersburg an den nachgewiesenen Erbberechtigten übersandt werden. Der Vater von Schmidt musste sich legitimieren, da sein Sohn von ihm als August Schmidt benannt, in den Akten aber als Friedrich Schmidt geführt wurde.

Der nachfolgende Text des Gerichtsprotokolls fasst den Vorgang zusammen:

Abschrift

Gegenwärtig

Herr Gerichtssecretär Dr. Schnaubert,

als Beauftragter.

Weimar

den 28. Junius 1834.

Im Gerichtscabinet Großherzoglicher Landesregierung erscheint der Kaufmann Johann Friedrich Schmidt von hier.

Commission

machte ihm den Inhalt des höchsten Rescriptes vom 13. d. M. und dessen Beilage bekannt.

pp. Schmidt

Ich habe schon fast vor einem Jahre alle nöthigen Schritte bereits gethan, welche sowohl zu meiner Legimitation als Erbe meines Sohnes, nicht Friedrich, sondern August Schmidt, als auch zu Empfangnahme von dessen Verlassenschaft erforderlich waren.

Ich habe zu dem Ende die nöthigen Papiere und eine Vollmacht an das Banquierhaus Duval in Petersburg gesendet und hierauf den Nachlaß, welcher in baarem Geld und mehreren Effecten bestand, nach einer Specification übersendet erhalten, so daß ich nicht glaube, daß noch weiter Etwas in der Sache zu thun ist.

Vorgelesen und genehmigt.

Nachrichtlich.

[Unterschriften]

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Faksimile des Protokolls des Gerichtscabinets Weimar vom 28. Juni 1834 (Blatt 7 und 7.1 der Akte, siehe Fn 32)

 

Am 1. Juli 1834 wurde der Vorgang mit einem Bericht der Landesregierung an den Großherzog abgeschlossen. In diesem Schreiben wird ausschließlich der Name „August Schmidt“ verwendet (Blatt 6 und Blatt 6.1 der Akte).

5 Abschließende Anmerkungen

Nach dem Tod von August Schmidt wurde – bislang nicht bekannt und sogar in den Akten der Region Perm nicht aufzufinden – bereits im Sommer 1832 Ludwig Graube (1807–1878) aus Johanngeorgenstadt in Sachsen (s. o. und Fn 30) als Nachfolger eingesetzt. Ebenfalls ein Absolvent der Bergakademie Freiberg, war Graube für 10 Jahre (von 1832–1842) der Verwalter der Bergwerke der Gräfin Polier. Während sich über seine Tätigkeit im Ural nur wenige Hinweise finden, sind Graubes Ausbildung in Freiberg und sein Wirken nach seiner Rückkehr nach Freiberg als erfolgreicher Fabrikbesitzer und Mäzen gut dokumentiert. Graubes Nachfolger als Verwalter der Uralbesitzungen der Fürstin Warwara Petrowna geb. Schachowskaja (1796–1870)33 für wiederum 10 Jahre war Carl Zerrenner, der dritte Freiberger Absolvent (s. Fn 3) in dieser verantwortungsvollen Position (s. Eckert 2019).

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Zerrenner, C. (1851): Anleitung zum Gold, Platin- und Diamanten Waschen aus Seifengebirge, Ufer- und Flußbettsand. Unter Voraussendung einer geognostischen Charakteristik des die genannten Mineralien führenden Seifengebirges und einer Zusammenstellung verschiedener Ausbeutungsmethoden desselben in verschiedenen Gegenden der Erde. Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann.

Danksagung

Für die Hilfe bei der Textbearbeitung und für wertvolle Hinweise möchte ich Frau RDin Anja Stottmeister (Potsdam) und Herrn Prof. Dr. Wladimir Reschetilowski (Radebeul) meinen herzlichen Dank aussprechen.

Anmerkung

In der Monographie „Die Ural-Diamanten und Alexander von Humboldts russisch-sibirische Reise 1829“ (Ulrich Stottmeister (2022): AVA Akademische Verlagsanstalt, Leipzig, 215 Seiten, ISBN 978-3-946281-16-0 werden die im obigen Text enthaltenen Verweise auf vertiefende Darstellungen berücksichtigt und zur vorliegenden Thematik zusätzliche neue Erkenntnisse aufgeführt.

1 Im Thüringer Staatsarchiv und Archiv und der Technischen Universität Bergakademie Freiberg (siehe Teil 1). Ausgewertet wurden diese deutschsprachigen Archivalien durch den Autor.

2 Kokscharow, Nikolai Iwanowitsch (1818–1893). Russischer Mineraloge und Bergbaubeamter, Absolvent der St. Petersburger Bergbauakademie. Teilnehmer an Expeditionen zur geologischen Erkundung des russischen Reiches. Besuche in Berlin z. B. bei Gustav Rose. Hohe Ehrungen und Mitgliedschaften in verschiedenen Akademien. 1872–1881 Direktor des Bergbauinstitutes in St. Petersburg. Kokscharow zweifelte die Richtigkeit der Humboldt’schen Angaben zu den Ural-Diamanten an, verbreitete jedoch zu diesem Thema selber unsachliche Angaben.

3 Zerrenner, Carl Michael (1818–1878). 1837 Studium des Bergbau- und Hüttenfaches an der Bergakademie Freiberg. 1839 bis 1840 Tätigkeit in den Regierungsbergwerken Polens. 1842–1852 Direktor der Gold-, Platin- und Diamantgruben der Fürsten Butera, verwitwete Gräfin Polier im Ural, 1846 Vizepräsident der Bergwerksverwaltung in Werchnemulinsk bei Perm. 1852 Rückkehr nach Deutschland, 1853 Tätigkeit in Österreich (Vorstand einer geognostisch-bergmännischen Kommission), 1858 Regierungs- und Bergrat in Gotha. Promotion an der Universität Leipzig (in Latein: „De Adamante“). Umfangreiche Publikationen, u. a. zur Geologie des Ural und zur Goldgewinnung (Zerrenner 1851).

4 Graf Adolphe de Polier (1795–1830) war in Frankreich geboren, von der Nationalität jedoch Schweizer. Polier war aus seiner erfolgreichen Militärlaufbahn in französischen Diensten aus gesundheitlichen Gründen ausgeschieden und hatte die verwitwete Gräfin Warwara Petrowna Polier (1796–1870), verw. Schuwalowa, geb. Schachowskaja in Italien kennengelernt. Nach der Heirat im Jahr 1827 verlegte Polier seinen Wohnsitz nach Russland und nahm die russische Staatsangehörigkeit an. Gleichzeitig wurde ihm der Adelstitel verliehen. Er verwaltete die seiner Ehefrau gehörenden Ländereien und Bergwerke in der Region Perm. Dieser Besitz der Gräfin war bedeutend. Auf der westlichen Seite des Ural gehörten ihr neben Kupfergruben auch Eisenwerke, Salzbergwerke, Goldminen und eine Anzahl Dörfer und Mühlen.

5 Bisher war nur die Tatsache bekannt, dass Alexander von Humboldt und Adolphe Polier sich aus Paris durch den Salon der Herzogin Claire de Duras (1777–1828) kannten. Von Schadrin im Russischen Staatsarchiv aufgefundene und bis dahin unbekannte Briefe von Humboldt an Polier weisen jedoch nach, dass zwischen beiden eine Freundschaft mit gleichen wissenschaftlichen Interessen bestand. Zusammen mit B. G. Schadrin wird der Autor dieser Beziehung eine gesonderte Publikation widmen.

6 An dieser Stelle soll erwähnt werden, dass durch die Transkriptionsbesonderheiten zwischen kyrillischen und lateinischen Schriftzeichen eine grundsätzliche Verwechslung zwischen den Orten Bissert (Бисерть), gelegen an der heutigen Fernverkehrsstraße E 22 zwischen Perm und Jekaterinburg (Provinz Perm, Bezirk Krasnofimskij) und Biser (Бисер) im Mittelural in der Provinz Perm des Bezirkes Perm auftreten kann. Beide Orte liegen rund 400 km auseinander. In Abb. 1 sind die unterschiedlichen Ortsbezeichnungen und deren Ortslagen zusammenfassend dargestellt. Die Besitzungen der Gräfin Polier lagen bei Biser. Die Humboldt/Polier-Reisegruppe passierte Bissert auf der Hauptstraße am 15. Juni vor der Ankunft in Jekaterinburg. Es muss darauf hingewiesen werden, dass alle Ortsbezeichnungen in den deutschsprachigen Quellen, die sich auf die Polier-Besitzungen, dortige Fundorte, die Tätigkeiten Schmidts usw. beziehen und als Ortsangabe „Bissersk“ verwenden, „eingedeutscht“ worden sind (auch in den deutschsprachigen Zeitungen des russischen Reiches so verwendet) und sich auf Biser beziehen. Einen Ort „Bissersk“ gab es zu keiner Zeit. Die deutsche Bezeichnung leitet sich wahrscheinlich aus der adjektivischen Form von Biser z. B. in „Biserskaja Datscha – Бисерская дача“ ab. Im Alten Russland wurden als Дача auch „Landgeschenke“ von Fürsten und Zaren an die treuen Vasallen bezeichnet, die dann auf diesen „Datschen“ nach Bedarf auch Fabrikanlagen errichten bzw. Manufakturen betreiben durften.

7 Горные промыслы, Bergbau, im Sinne von manuellem (handwerklichem) Betrieb. Der Ort wird heute verwaltungsmäßig dem Gornozavod Rajon, Perm-Kreis, zugeordnet (Schadrin 2017, S. 125).

8 Das namenlose Bachtal, aus dessen Sanden die Diamanten stammten, wurde nach Graf Pierre Amédée Charles William Adolph de Polier Adolphskij-Grube genannt. Bei Schadrin (2017, S. 164) findet sich ein aktuelles Foto von der unauffälligen Fundstelle. Diese ist auch in der Karte eingezeichnet, die von Zerrenner 1849 (s. auch Eckert 2019) veröffentlicht wurde.

9 Originalzitat: Их определение произведено Ф. Шмидтом, управляющим прииском, минералогом и выпускником Фрейбергской горной школы. Ф. Шмидт, определивший находку, а не Попов, должен считаться первооткрывателем русских алмазов. https://uraloved.ru/geologiya/uralskie-almazi, [letzter Aufruf am 09. August 2021].

10 Fußnote 7 in Ferdinand von Polier (1963): Die Beschreibung des Berliner Ural-Diamanten durch den damaligen Kustos Dr. E. Fischer stammt aus dem Jahr 1961. Für diesen wertvollen Hinweis und die Bereitstellung der Literatur wird an dieser Stelle dem derzeitigen Kustos Dr. R. Th. Schmitt vielmals gedankt.

11 In Abstimmung mit dem Kustos Dr. R. Th. Schmitt.

12 Rose (1837), S. 357, benutzte „specifisches Gewicht“. Nach heute gültiger Definition gilt für einen physikalischen Körper das Verhältnis seiner Gewichtskraft zu seinem Volumen und wird als Wichte mit dem Formelzeichen bezeichnet.

13 Die Volumina der Gefäße unterschiedlichster Ausfertigung betrugen normalerweise zwischen 25 und 100 ml. Eine erste Wägung z. B. mit Wasser, zusammen mit einer genauen Temperaturmessung, diente der Eichung des Gefäßes. Die zweite Wägung z. B. nach Zugabe der gewogenen Diamanten in das Gefäß, bestimmte das Gewicht des verdrängten Wassers, damit des Volumens des Diamanten und ermöglichte die Berechnung des spezifischen Gewichts.

14 Joseph Louis Gay-Lussac (1778–1850). Französischer Physiker und Freund Alexander von Humboldts.

15 Das lange bekannte, aber nicht erklärbare Phänomen, dass Diamanten mit anderen Diamanten geschliffen werden können (zum Beispiel zum Erzeugen des Brillantschliffes), kann heute durch die Bildung einer weichen amorphen Kohlenstoffschicht an der Berührungsfläche beider Diamanten unter Druck und der Reaktion dieser Kohlenstoffmodifikation mit Luft-Sauerstoff erklärt werden (Anonym in Spektrum – Die Woche. News vom 29. 11. 2010, https://www.spektrum.de//news/weshalb-diamant-diamant-ritzt/1055823, [letzter Aufruf: 29. 08. 2021].

16 Rose fügt in seinem Reisewerk den „Bericht des Grafen Polier an den Herrn Finanzminister, Graf Cancrin, über die erste Auffindung der Diamanten im Ural“ hinzu, da Polier diesen nicht mehr wie vorgesehen zur Veröffentlichung an die Annales de Chimie et de Physique senden konnte.

17 Christian Gottfried Ehrenberg (1795–1876). Bedeutender Mediziner, Zoologe, Mikrobiologe und Botaniker. Er war Teilnehmer der Russisch-Asiatischen Reise Alexanders von Humboldts. Sein Tagebuch zu dieser Reise wurde erst kürzlich editiert: https://edition-humboldt.de/themen/detail.xql?id=H0016785&view=f&l=de&page=I.

18 Dimitri Stepanowitsch Menschenin (geb. 1790, Todesjahr unbekannt). Bergingenieur-Oberst, begleitender Regierungsbeamter der Humboldt-Expedition. Sein ausführlicher Reisebericht ergänzt die Tagebücher der deutschen Reiseteilnehmer.

19 Diese Etwa-Entfernungsangabe von Schmidt von 600 Werst stimmt ungefähr mit der überein, die sich aus den heutigen Angaben in km ergibt, ohne die genaue Wegführung zu kennen (1 Werst entspricht 1,0668 km).

20 Hier stimmt der von Schmidt angegebene Termin mit der Rückrechnung der Tage bei Rose ebenfalls mit dem 4. September (23. August) überein, nicht aber mit Ehrenbergs Aufzeichnungen.

21 Fotij Iljitsch Schwetsow (1805–1855): Russischer Mineraloge und Bergbauingenieur, ab 1828 im Hüttenwerk Nischne Tagilsk (heute Nischni Tagil), Begleiter und Ratgeber Humboldts im Mittleren und Südlichen Ural, bis 1830 in der Leibeigenschaft der Familie Demidow. Schwetsow war hochbegabt, bereiste verschiedene europäische Länder und beherrschte mehrere Sprachen. Alexander von Humboldt verfasste eine Petition zu seiner Freilassung aus der Leibeigenschaft, der 1830 stattgegeben wurde. Über diese erwähnenswerte Aktion Humboldts wird bislang kaum berichtet.

22 William Hogarth (1697–1764) war ein sozialkritischer Maler und Grafiker. Er liebte satirische Darstellungen zeitgenössischer Ereignisse und kann als ein Vorläufer der Karikaturisten angesehen werden. Vermutlich wollte Schmidt andeuten, dass nach dem Betrachten des Diamanten Alexander von Humboldt eine ungewöhnliche emotionale Reaktion zeigte.

23 Polier hatte darum gebeten, dass niemand über den Diamantenfund berichtet, bevor der Finanzminister Graf Cancrin darüber informiert wurde.

24 Solikamsk, früher das „Salzlager Russlands“. Bedeutungsrückgang nach 1870, heute bedeutendes Zentrum der Kaligewinnung und Gewinnung von Ausgangsstoffen der Titan- und Magnesiumherstellung.

25 Die in Dürrenberg seinerzeit energetisch günstige Dampfableitung über den Siedepfannen wurde mit Rohren vorgenommen. Dem Autor liegen entsprechende technische Abbildungen vor.

26 2. Brief vom 29. September 1829. RGADA fond 1288 op-1 g 2729 c. 4–7. Schadrin (2017) S. 142–145 (Zitat 92).

27 Dieser Teil des 2. Briefes wird vom Autor in einem gesonderten Beitrag ausgewertet werden.

28 Originaltext der Fundstelle im Registerbuch: Метрическая книга Пермской духовной консистории, Пермского уезда, Бисерского завода в церкви святых апостолов Петра и Павла на 1832 год // ГКГУ „ГАПК“. Ф. 37, оп. 1, д. 110. С. 154. (Schadrin, 2017, Zitation 76).

29 Gleichlautende Zeitungsmeldungen z. B. in:

1. Allgemeine Zeitung. Augsburg, 1. August 1832 Nr. 214,

2. Gemeinnützige Blätter zur Belehrung und Unterhaltung. 22. Jahrgang, Zweite Hälfte. Ofen, 1832,

3. Frankfurter Ober-Postamts-Zeitung, 5. August 1833.

30 Auf der Grundlage dieses Hinweises konnte durch den Autor das Leben von Ludwig Graube (1807–1878) nachverfolgt werden. Die Auswertung bisher unberücksichtigter Archivalien der Bergakademie Freiberg, des Stadtarchivs Freiberg sowie der wissenschaftlichen Literatur werden Gegenstand einer weiterführenden Publikation des Autors sein.

31 Friedrich: Fedor, auch Fjodor.

32 Landesarchiv Thüringen, Hauptstaatsarchiv Weimar Rechtspflege B 2557a Bl. 1r LAth-HStA Weimar.

33 Warwara Petrowna Schachowskaja (1796–1870): 1816 Ehe mit Pawel Petrowitsch Schuwalow (17761823). 1823 Tod des Ehemannes, 1827 Ehe mit Adolph de Polier. 1830 Tod des 2. Ehemannes. 1835 dritte Ehe mit dem Fürsten Butera-Radali (Georg Wilding) (17901841). 1841 Tod des 3. Ehemannes. Fürstin Warwara Petrowna Butera-Radali verstarb 1870 in der Schweiz, die Beisetzung erfolgte auf dem Russischen Friedhof in Wiesbaden.

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